(sic)
Stadtgeflüster vom 13. Oktober 2015

12.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:41 Uhr

(sic) Wer sich mit einem guten Buch in der Hand so richtig in miese Stimmung versetzen will, greife am besten zu einem utopischen Roman. Das Genre der warnenden Zukunftsvisionen zählt zum Humorlosesten und Frustrierendsten, das die Weltliteratur zu bieten hat.

Der bayerische Schriftsteller Oskar Maria Graf etwa malte in seinem Roman „Die Erben des Untergangs. Roman einer Zukunft“ (1949) ein derart düsteres Bild, dass das Buch bis heute kaum jemand gelesen hat.

Ein Klassiker der utopischen Schwarzmalerei ist George Orwells „1984“ (1948). Sein Szenario einer totalen Überwachungsdiktatur, in der Kameras jedes Schlafzimmer im Blick haben, kommt unserer Zeit schon recht nahe, nur mit dem Unterschied, dass sich heute Millionen Nutzer von Onlinenetzwerken freiwillig ausliefern. Auch der Amerikaner Ray Bradbury, Autor des berühmten Romans „Fahrenheit 451“ (1953), sah der Entwicklung der Massenmedien eher skeptisch entgegen. Bücher sind in seiner Zukunftswelt verboten, stattdessen wird das Volk zu Hause von wandgroßen Fernsehern zu allen Seiten mit dämlich-hirnlosen Shows berieselt. Das geschilderte künstlerische Niveau haben viele Sender heute schon erreicht, am Format der Fernseher wird noch gearbeitet.

In diesen Tagen ist wieder ein interessantes utopisches Werk auf den Markt gekommen. Es wagt einen visionären Blick auf Ingolstadt und Kösching im Jahr 2040. Das Buch heißt „50 Jahre St. Paulus“, und der Autor, Pauluspfarrer Jürgen Habermann, geht nach einem passenden Bibelwort („So der Herr will und wir leben“, Jak. 4,15) in die Vollen: „2040 wird das Köschinger Zentrum auch schon in die Jahre gekommen sein. Toll wäre es, wenn die dort wohnhaften Evangelischen wie bisher immer wieder neue Energien entwickeln, und auch unkonventionelle Wege einschlagen, um ganz nah bei den Menschen zu sein. Was freilich sein könnte, wenn es in 25 Jahren Audi nicht mehr oder nur in viel kleinerer Form geben sollte, das mag sich keiner heute ausrechnen.“

Audi viel kleiner oder gar weg? Herr im Himmel! Denkwürdig ist auch diese Vision Habermanns: „Vielleicht ist 2040 die Theodor-Heuss-Straße längst untertunnelt. Vielleicht kommt man ohne eigenes Fahrzeug, zu Fuß, mit dem Rad oder neuen Verkehrsmitteln zur Kirche, eventuell von der Technik im Auto wie von Geisterhand gesteuert. Ob es dann noch den sonntäglichen Gottesdienst gibt? Ob dann dieser Ruhetag noch geschützt sein wird? Es kann sein, dass man sich zu anderen Uhrzeiten zusammenfindet, die heute noch als undenkbar gelten.“

Die Theodor-Heuss-Straße untertunnelt, jeder Sonntag verkaufsoffen? Du liebe Güte! Ganz klar: Was Habermann hier andeutet (ohne es direkt auszusprechen) ist nichts anderes als die Alleinherrschaft der Freien Wähler und der Händler von IN-City. Na, da sei Gott vor!