Pfaffenhofen
Stachel im Fleisch der Stadtgeschichte

In Pfaffenhofen entsteht ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus – Die Fototafeln darauf sind jetzt als Ausstellung zu sehen

04.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:44 Uhr

Als Stachel der Erinnerung bohrt sich der rote Stahlträger durch die Mauern des Hauses der Begegnung (oben). Fototafeln an der Fassade dokumentieren Täter und Opfer – wie die SA-Männer, die 1923 mit einem Müllerbräu-Lastwagen zum Hitlerputsch nach München fuhren (links) oder die jüdische Bürgerin Regina Schlosser, die wie ihr Mann im KZ ermordet wurde. Der Künstler Thomas Neumaier (rechts) hat mit diesem Entwurf den Wettbewerb für das Mahnmal gewonnen; seine Fototafeln sind derzeit in einer Ausstellung im Rathaus zu sehen - Fotos: oh

Pfaffenhofen (DK) Bilder gibt es von ihnen nicht. Nur Namen und Daten. Irma Wynik wurde neun Tage alt, Joseph Chometa acht Wochen, Thaddäus Czarneski ein Dreivierteljahr. Sie alle starben, wie 13 andere Säuglinge und Kleinkinder, zwischen Oktober 1943 und April 1945 – unter unmenschlichen Bedingungen, in Nässe, Kälte, Dreck und Einsamkeit zugrunde gegangen in der „Ausländerkinderpflegestätte“ Uttenhofen.

Die Einrichtung, in der man Kinder von Zwangsarbeiterinnen kasernierte und sterben ließ, gehört zur lang verdrängten Geschichte der Stadt Pfaffenhofen in der Zeit des Nationalsozialismus. 17 Jahre hat es gedauert, bis auf Anregung des Lehrers, Stadtrats und Heimatforschers Reinhard Haiplik, der 2003 mit seinem Buch „Pfaffenhofen unterm Hakenkreuz” die Aufarbeitung dieser Geschichte anstieß, nun tatsächlich ein Mahnmal realisiert wird, das dieser Kinder ebenso gedenkt wie der politisch Verfolgten, der jüdischen Bürger, der Opfer der NS-Zeit im Landkreis. Das aber auch von Zivilcourage erzählt. Und Täter benennt.


Entworfen hat das Mahnmal, das im September am Haus der Begegnung eröffnet wird, der Ingolstädter Künstler Thomas Neumaier. Unter 25 Mitbewerbern entschied der 65-Jährige den städtischen Wettbewerb für sich – mit einem kühnen Entwurf, der sich an die Substanz wagt. Ein rotlackierter 18 Meter langer Stahlträger durchlägt in schrägem Winkel die Außenmauer des Gebäudes, um an der anderen Ecke wieder auszutreten. „Wie ein gewaltiger Akupunkturstift“, sagt der Künstler – oder womöglich wie der berühmte Stachel im Fleisch der Stadtgeschichte. Ergänzt wird die „Geschichtsstele“ mit 16 Fototafeln auf der Fassade: Prominent in der Höhe der berühmte „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner, einstiger Kaplan in Ilmmünster und Pfarrer in Odelzhausen, der wegen seiner regimekritischen Predigten ins KZ Dachau kam und dem die Flucht beim „Todesmarsch“ nach Tirol gelang – ein ermutigendes Beispiel des Widerstandes quasi als Überschrift. Auf Augenhöhe dann ein Fries aus 15 weiteren Bildtafeln, die etwa an das jüdische Ehepaar Regina und Siegfried Schloss erinnern, die in Auschwitz und Theresienstadt ermordet wurden, an den Pfaffenhofener Wirt und Widerständler Joseph Rath, oder auch den in mehreren Vernichtungslagern tätigen Lagerkommandanten Theodor Traugott Meyer.

„Mir war es wichtig, mit Dokumenten zu arbeiten und nicht mit der moralischen Keule“, sagt Thomas Neumaier zu den Fotos. In Reinhard Haipliks „unverzichtbarem“ Buch suchte er nach exemplarischen Lebensläufen von Opfern und Tätern – „auch wenn es Diskussionen gab, ob man den Nachkommen der Täter die Täterfotos zumuten konnte“ – und forschte in Archiven etwa des KZ Dachau weiter. „Vieles ist ja noch nicht aufgearbeitet“, sagt er, „zum Beispiel die Geschichte der Zwangsarbeiter in Pfaffenhofen.“ Weshalb Neumaiers Fototafeln auch abnehmbar sind. Er habe „die optimistische Hoffnung“, dass das Mahnmal als „Anstoß zum Weiterarbeiten“ begriffen wird; dass Bürger und Bürgerinnen selbst Fotos beisteuern, die es immer wieder verändern, wäre Neumaiers Wunsch.

Sehen kann man die Fototafeln bereits jetzt in einer Ausstellung im Pfaffenhofener Rathaus, wo man sie mit den entsprechenden Lebensläufen präsentiert. Nicht immer ist das leichte Kost oder so versöhnlich wie die Geschichte des jüdischen Vieh- und Hopfenhändlers Wilhelm Meinstein, der öffentlich schikaniert wurde, nach Südafrika floh und bei einem Besuch 1972 in Pfaffenhofen sagte, er empfinde keinen Hass. Denn da ist unter anderem auch das Bild, das an die Vergangenheit des Pfaffenhofener Krankenhauses als „Anstalt für Unfruchtbarmachung” erinnert. Und die Liste mit den Namen der Kinder von Uttenhofen.

 

Bis 27. Juni im Rathaus zu den üblichen Öffnungszeiten und jeden 1. und 3. Samstag von 9 bis 12 Uhr.