Stabilisierung statt Wachstum

Heimische Wirtschaft schaut bangen Blickes auf Großbritannien

10.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:13 Uhr
Großbritannien macht zehn Prozent ihres Europageschäfts aus: Michaela Schenk verfolgt aus unternehmerischen Gründen den Brexit ganz genau. Sie hat unter anderem den Londoner Store von Designerin Victoria Beckham ausgestattet. −Foto: Belzer

Der Brexit beschäftigt die Politiker in Brüssel und London. Und auch die heimische Wirtschaft schaut bangen Blickes auf Großbritannien. Michaela Schenk, Chefin des Pfaffenhofener Kleiderbügelherstellers Mawa, befürchtet Chaos - hat ihr Unternehmen aber vorbereitet.

Mit Kopfschütteln verfolgt Michaela Schenk Tag ein Tag aus die unendliche Debatte um den Brexit. Am 26. Juni 2016 stimmten die Briten in einem Referendum dafür, aus der Europäischen Union auszutreten. Seitdem bereitet sich die Pfaffenhofener Unternehmerin auf diesen Tag vor. "Resignation verspüre ich nicht. Die Situation ist, wie sie ist. Daraus muss ich das Beste machen."

Schenks Geschäft sind Kleiderbügel. Sie fertigt die hochwertigen Stücke in Pfaffenhofen und exportiert sie in 68 Länder in Europa, Asien und die USA. Das Geschäft mit Großbritannien macht zehn Prozent ihres Europa-Umsatzes aus. "Weil wir erst vor knapp sechs Jahren begonnen haben, den Markt zu entwickeln, ist die Situation für uns jetzt doppelt dramatisch", erklärt Schenk. "Wir sehen eigentlich großes Potenzial in Großbritannien, wir haben dort mit viel Arbeit Fuß gefasst und einen guten Aufschwung erlebt. Aber seit sechs Monaten geht gar nichts mehr. Jetzt konzentrieren wir uns nur noch darauf, den Markt zu stabilisieren. An Wachstum ist derzeit nicht zu denken."

Bei ihrem größten Kunden in England herrscht starke Verunsicherung. Er stattet Fashion-Geschäfte mit Mawa-Kleiderbügeln aus und verkauft sie sowohl selbst als auch an Einrichtungsläden. "Er ist breit aufgestellt und daher ein super Kunde", sagt Schenk. "Wir haben Jahre investiert, um gemeinsam ein Konzept zu entwickeln und sein Personal zu schulen. Und wir waren gerade erst am Anfang." Doch der Kleiderbügelhersteller verkauft seine Ware ab Werk in Pfaffenhofen. Alle Kosten, die danach aufschlagen, trägt der Käufer. Und da kommt der Brexit ins Spiel.

"Irgendwann wird die harte Grenze kommen", sagt Schenk, die derzeit nicht von einer Zollunion mit Großbritannien ausgeht. Als Konsequenz befürchtet sie massive logistische Probleme. Am französischen Hafen Calais erwartet sie riesige Staus, weil alle Waren vor der Einfuhr nach Großbritannien verzollt werden müssen. "Das Verzollen an sich ist nicht das Problem. Wir verzollen in Dutzende Länder, das ist für uns Tagesgeschäft. Aber die Logistikkosten steigen, wenn die Lkws an der Grenze stundenlang warten müssen." Die Unternehmerin befürchtet auch, dass der britische Zoll nicht auf das Chaos vorbereitet sein könnte. "In Deutschland wurden wegen des Brexits 1000 neue Stellen beim Zoll geschaffen. Wie soll dann erst Großbritannien das alles schaffen? Und jeder Tag im Zoll kostet Geld." Die gestiegenen Lieferkosten sind nicht unerheblich. "Denn unsere Margen sind nicht riesig." Die Mehrkosten werden an die Importeure in England weitergegeben - und das wiederum lässt die Waren auf der Insel teurer werden. "Um wie viel, das variiert von Branche zu Branche. Prognosen gehen von acht bis zwölf Prozent aus."

Wenn zwischen Europa und Großbritannien eine harte Grenze verläuft, dann sei der Kontinent mit den Herstellern aus China gleichgestellt. "Das ist doch völliger Irrsinn." Denn mit dem Brexit wird Europa seinen Wettbewerbsvorteil der schnellen Lieferfähigkeit verlieren. "Wenn es blöd läuft, dann kann es sein, dass die Kleiderbügel vier Wochen von Pfaffenhofen ins Vereinigte Königreich brauchen." Und chinesische Artikel benötigten etwa fünf Wochen per Schiff dorthin. Bisher habe Michaela Schenks Kunde wöchentlich Ware bestellt, immer in kleinen Lieferumfängen. "Er spart sich dadurch Lagerkosten, wenn er immer nur so viel bestellt, wie er auch abverkaufen kann." Kleine Mengen lohnten sich jedoch nicht mehr, wenn die Transportkosten steigen. "Und das war's dann mit dem Wettbewerbsvorteil." Als kurzfristige Lösung hat Mawas Kunde sein bestehendes Lager für die kommenden sechs Monate aufgefüllt, "um ihm entgegenzukommen, haben wir ein längeres Zahlungsziel vereinbart".

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sei der Wechselkurs, der bisher relativ stabil war - das aber möglicherweise nach dem Brexit nicht mehr bleibt. "Wir fakturieren in Euro, das kann zu einer Preissteigerung von bis zu 20 Prozent führen." Das wiederum bedeute Umsatzeinbußen für Mawa, weil sich die Firma an den Mehrkosten beteiligt. Dramatisch sei die Situation für die Unternehmen, die nur mit Großbritannien Handel betreiben. Das ist bei Mawa nicht der Fall, es sind keine Arbeitsplätze in Gefahr. "Aber wir wollen den Markt nicht verlieren, da nehmen wir die Umsatzeinbußen in Kauf. Das ist eine strategische Entscheidung."

Doch welche Preissteigerung sind die Briten bereit zu zahlen? "Da wird es anfangs einen riesigen Aufschrei geben", ist sich Michaela Schenk sicher. "Ich weiß nicht, ob die Briten das schon realisiert haben. Aber dann werden sie sich wohl an die Preise gewöhnen." Ihr Produkt sei kein Billigprodukt, und ihre Kunden legten Wert auf Qualität. "Aber durch den Brexit werden wir zwei bis drei Jahre zurückgeworfen. Wir hoffen, die derzeitigen Umsätze sichern zu können. Aus unternehmerischer Sicht ist das eine spannende Zeit. Aber wir haben unsere Jahresplanung nicht heruntergesetzt. Wir glauben fest daran, dass wir es schaffen."

DK