Neuburg
Staatsanwalt lässt Zeugen im Gericht abführen

Verdacht der Falschaussage gegen Unternehmersohn - Verteidiger fassungslos - "So geht man nicht mit uns um"

28.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:14 Uhr
Eskalation im Schöffenprozess: Der Staatsanwalt ließ einen Zeugen überraschend festnehmen. −Foto: Rein

Neuburg (DK) Der vorletzte Prozesstag gegen einen 64-jährigen Unternehmer wegen Sozialversicherungsbetrug lieferte am Mittwoch im Amtsgericht Neuburg einen "Eklat". Der Staatsanwalt ließ den 30-jährigen Sohn des Angeklagten im Zeugenstand wegen des "Verdachts auf uneidliche Falschaussage" festnehmen.

Vier Polizeibeamte marschierten im Gerichtssaal auf und nahmen den 30-Jährigen in Gewahrsam. Staatsanwalt Gerhard Reicherl sieht Verdunklungsgefahr und Widersprüche mit den Aussagen anderer Zeugen. Verteidiger Dr. Florian Englert war fassungslos und weigerte sich, den Sohn weiter zu befragen. "Unter dieser Einschüchterung mache ich nicht weiter", rief der Rechtsanwalt mit Blick auf die vier Polizisten im Gerichtssaal.

"Ein solches Affentheater habe ich vor Gericht noch nie erlebt", so Florian Englert. Er kündigte einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Christian Veh an. Den 30-Jährigen mit einem "Zeugenbeistand" weiter zu hören, war nicht möglich, weil auf die Schnelle kein weiterer Rechtsanwalt herbeizuholen war.

Die Anklage wirft dem 64-jährigen Firmenchef Vorenthalten und Veruntreuung von 289.000 Euro Sozialversicherungsbeiträgen vor. Wie berichtet, soll er laut Staatsanwaltschaft zwölf ungarische Arbeiter als Scheinselbstständige beschäftigt haben. Der Unternehmer bestreitet den Vorwurf energisch und verweist auf Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR), über die die Ungarn ihre Arbeiten ausgeführt hätten. Im Gerichtssaal macht der 64-Jährige keine Angaben.

Sein Sohn machte nicht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Er sagte aus, dass ihn zwei Ungarn als GbR bei Baustellen in München nach Arbeit gefragt hätten. Man sei ins Geschäft gekommen und die Ungarn hätten selbstständig einige Aufträge übernommen. Bei der Abrechnung sei gelegentlich korrigiert worden, wenn zu viele Quadratmeter angegeben worden waren. "Aber ihre Rechnungen haben die Ungarn immer selbst gestellt."

Diese Feststellung war offenbar der Knackpunkt für das Schöffengericht. Der Vorsitzende Richter Christian Veh hielt dem 30-Jährigen die Aussagen ungarischer Arbeiter vor, wonach ihnen der Sohn des Unternehmers anfangs die Rechnungen geschrieben hätten. "Fünf Zeugen beschreiben das so, und Sie sagen hier ganz etwas anderes", warnte der Richter den Zeugen. Er solle sich genau besinnen, "ich lasse Ihnen ein Hintertürchen offen", so Christian Veh.

Der 30-Jährige blieb dabei, den Ungarn nicht selbst Rechnungen geschrieben zu haben. Nach dem Einschreiten von Staatsanwalt Gerhard Reicherl, dem Auftreten von vier Polizeibeamten und kurzer telefonischer Beratung mit einer Anwältin, verweigerte der Zeuge die Aussage. Daraufhin erklärte der Staatsanwalt die vorläufige Festnahme. Die Polizisten nahmen den 30-Jährigen mit in die Arrestzelle.

Seine Eltern reagierten auf die Eskalation bestürzt. "So geht man mit uns nicht um, ich habe 40 Jahre lang eine Handwerksfirma aufgebaut und ehrlich gearbeitet", beschwerte sich der 64-jährige Unternehmer nach der Verhandlung. Sein Sohn arbeite als Bauleiter mit, habe zwei kleine Kinder und besuche gerade die Meisterschule - "und jetzt wird er abgeführt."

Der Prozess soll am letzten Verhandlungstag kommenden Mittwoch abgeschlossen werden. Das Schöffengericht hat für diesen Tag Plädoyers und Urteil angesetzt.

Winfried Rein