Ingolstadt
Spurwechsel

16.06.2011 | Stand 03.12.2020, 2:43 Uhr

Familie und Beruf: Audi-Ingenieurin Heike Nuber bei der Telearbeit daheim. Eva und Jonas wissen, dass die Mama viel zu tun hat und nicht gestört werden darf. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass sie da ist, wenn sie gebraucht wird - Foto: Luff

Ingolstadt (DK) Sie ist ein Prototyp, gewissermaßen, der baldmöglich in Serie gehen soll: Heike Nuber, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, tüftelt als Audi-Ingenieurin an Fahrerassistenzsystemen – in Vollzeit. Wie sie das alles schafft? Mittwochs geht sie ins Büro, die anderen Tage macht sie daheim Telearbeit.

Eine Vorzeigefrau in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie aus dem Hochglanzmagazin, so möchte man meinen. Doch Heike Nuber – 37 Jahre alt, zierlich, Kurzhaarschnitt – macht keine große Nummer daraus, wie sie alles unter einen Hut bringt. Sie wirkt eher bescheiden und zurückhaltend. Aber wenn sie ihr Notebook aufklappt und die Präsentation über Audi-Fahrerassistenzsysteme startet, die sie auch jungen Mädchen beim Forscherinnen-Camp zeigt, dann blüht sie richtig auf.

Auf ihrem Schreibtisch liegt das unscheinbare Teil: ein flaches Metallkästchen mit einer Mini-Kamera. Es wird im Rückspiegel eingebaut und hilft beim Spurwechsel und Spurhalten. Bei Abweichungen vibriert das Lenkrad und warnt den Fahrer, in manchen Modellen manövriert es sogar eigenständig zurück auf Geradeauskurs. Wie von Geisterhand. „Die Entwicklung solcher Steuergeräte dauert Jahre“, erklärt Heike Nuber, die für das Projekt verantwortlich war.

In solchen Phasen mal schnell ein Kind zur Welt bringen und ein Jahr Elternzeit nehmen – das ist schwierig. „Ich bin die einzige Frau in unserer Abteilung“, sagt Heike Nuber, die an der Berufsakademie in Ravensburg Informatik studiert hat und danach schnell bei Audi gelandet ist. Der Automobilhersteller sucht dringend Ingenieure und erleichtert Müttern und Vätern die Berufsrückkehr (siehe Infokasten).

Nach der Geburt ihres ersten Kindes hat Heike Nuber zunächst Teilzeit gearbeitet. „Ich habe sofort gesagt, dass ich gern zuhause arbeiten will – schließlich musste ich meine Tochter ja alle vier Stunden stillen.“ Nach zwei Jahren kam das zweite Kind zur Welt, ein Sohn. „Ich hab sofort darauf geachtet, dass beide gleichzeitig mittags schlafen, damit ich drei Stunden am Stück arbeiten konnte. Den Rest habe ich dann abends erledigt“, schildert die Mutter ihr Zeitmanagement. Sie räumt aber auch ein: „Manchmal hab’ ich schon die anderen Mütter beneidet, die sich mittags hinlegen konnten. Denn ich hatte auch unruhige Nächte.“

Da klingt an, dass es kein Spaziergang ist, auch wenn die Kinder inzwischen neun und sieben Jahre alt sind. Seit vier Jahren schon arbeitet Heike Nuber Vollzeit – vier Tage daheim, mittwochs im Büro. „Ich hab’ von Anfang viel Disziplin gehabt. Ich will ja dranbleiben, weil mir die Arbeit so viel Spaß macht. Aber mir war auch immer wichtig, dass die Kinder ihre Mama haben und nicht leiden.“ Ihre Kinder wissen, dass die Mutter sehr beschäftigt ist. „Aber wenn sie sich beim Spielen wehtun und ein Pflaster brauchen, dann können sie zu mir kommen.“

Die Kollegen rufen natürlich auch an, wenn es irgendwo brennt. Kann sein, dass Heike Nuber da gerade am Herd steht und Essen kocht. Egal. „Eigentlich arbeitet man immer: Der Rechner ist eingeschaltet, das Telefon klingelt und im Kopf springt man vom einen zum anderen. Neulich hatte ich mal drei Hörer gleichzeitig in der Hand.“ Doch die Frau kann auch anders: „Eine halbe Stunde mittags bin ich nicht erreichbar, um in Ruhe mit den Kindern zu essen. Es ist mir wichtig, das einzuhalten.“ So wie es ihr wichtig ist, die Zeit, die sich mit ihren Kindern verbringt, intensiv zu nutzen.

Das alles funktioniert, weil Heike Nuber und ihr Mann an einem Strang ziehen. „Er hat flexible Arbeitszeiten und muss oft einspringen, wenn ich zum Beispiel mal wieder drei Tage auf Testfahrt bin“, erzählt die Ingenieurin. Auch das soziale Umfeld stimmt im heimatlichen Röckenhofen bei Greding: Die Frauen aus der Nachbarschaft helfen sich gegenseitig mit den Kindern, auch die Eltern und die Schwiegereltern sind in der Nähe. „Der Rückhalt der Familie ist ganz wichtig. Es ist gut, mehrere Anlaufstationen zu haben, denn dann kann man alles besser verteilen. Aber mein Mann und ich bringen es trotz Vollzeitjobs auch so hin, dass wir niemanden brauchen.“

Heike Nuber räumt ein: „Ich habe lange mit dem Gefühl kämpfen müssen, dass ich alles nicht gescheit mache. Aber so nach zwei, drei Jahren hat sich das gelegt. Dann kam auch die Bestätigung: Es passt so.“ Sie fühlt sich auch nicht mehr abgeschnitten vom Informationsfluss wie zu Beginn – so ganz ohne die berühmten „Teeküchengespräche“. Mittlerweile weiß sie, bei wem sie nachfragen muss, was es so Neues gibt. Und anfängliche Bemerkungen von Kollegen, die Heike sei ja wieder mal einen Tag da, die gibt es auch kaum noch. Eines übrigens steht für die Ingenieurin fest: „Ich kann zu Hause wesentlich effizienter arbeiten als bei Audi im Büro.“

Inzwischen genießt sie die berufliche Verantwortung, Selbstständigkeit und Bestätigung. „Es sagt einem doch keiner, wie schön die Hemden gebügelt sind“, weiß Heike Nuber und fügt zufrieden hinzu: „Das hier ist genau der richtige Weg für mich.“