Ismaning
Spurensuche gegen das Vergessen

Das Kallmann-Museum in Ismaning zeigt eine beeindruckende Schau der von den Nazis als "entartet" verfemten Künstler

12.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:25 Uhr

Wilhelm Schnarrenberger: "Bekanntgabe des Kriegszustandes am 31. Juli 1914". - Fotos: Sammlung Gerhard Schneider

Ismaning (DK) Florenz Robert Schabbon hat den Druck der Nationalsozialisten nicht ausgehalten. Der 35-jährige Künstler aus Bielefeld hat sich nach Repressalien am 23. März 1934 umgebracht. Georg Netzband (1900-1984) hat seine zeitkritischen Gemälde, bevor die Kunstzensoren sie 1933 konfiszieren konnten, in Blechbehältern in seinem Garten unter den Erdbeerbeeten vergraben. Die Bilder von Oscar Zügel (1892-1968), darunter auch sein an Joseph Goebbels erinnernder "Propagandaminister" (1933), wurden beschlagnahmt, um im Innenhof der Staatsgalerie Stuttgart verbrannt zu werden. Erna Schmidt-Caroll (1896-1964) hat durch die Flucht den Großteil ihrer Werke verloren. Und die 1899 geborene avantgardistische Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler wurde 1940 im Rahmen des Euthanasieprogramms "T4" in Pirna-Sonnenstein vergast.

Fünf Lebensläufe von Hunderten, zerbrochene Biografien, verhinderte Karrieren, Schrecken und Leid, Willkür und Propaganda, Diffamierung und Denunzierung, Macht und Zerstörung. Rund 1600 Künstler - zusätzlich zu den Hunderten Schriftstellern, Musikern und Komponisten - standen auf der Liste des Propagandaministeriums, rund 20 000 Werke haben die Nationalsozialisten ab 1933 in mehreren Aktionen aus Museen und Ateliers beschlagnahmt, zerstört oder ins Ausland verkauft. Als "entartet" wurden die Werke gebrandmarkt, auf 35 Femeschauen zwischen 1933 und 1941 im "Reichsgebiet" vorgeführt. Die bekannteste Schau der Kunstdiktatur ist die von 1937 in den Münchner Hofgarten-Arkaden.

Das Kallmann-Museum in Ismaning versammelt nun in einer beeindruckenden und - angesichts der recherchierten Lebensläufe - erschütternden Ausstellung Hunderte von Werken der vergessenen Künstler. Die ermordet wurden, gefallen sind, die ins Exil gingen, die in jungen Jahren an ihrem Kunstschaffen gehindert wurden, in die Innere Emigration gingen und für die es nach 1945 keine Anknüpfungspunkte mehr gab. Die Bilder stammen aus der Sammlung Gerhard Schneider, der sich seit den 80er-Jahren der Erforschung der verfemten Künstler verschrieben hat und auf dessen Initiative im vergangenen Jahr auch das Zentrum für verfolgte Künste in Solingen eröffnet wurde.

Ausgestellt sind in der ehemaligen Orangerie im Schlosspark in Ismaning wenige Werke der bekannten "entarteten" Künstler, wie Ernst Ludwig Kirchner, Georg Grosz oder auch Josef Albers. Eine bewusste Entscheidung, da es darum geht, die unbekannten Maler zu würdigen. Die meisten Namen waren Jahrzehnte - und sind es bis heute - aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden.

Es ist ein beeindruckender Querschnitt durch die Kunstströmungen zwischen 1910 und 1940. Zu sehen sind apokalyptische Lithografien aus dem Ersten Weltkrieg, sozialkritische oder frech-frivole Großstadtszenen aus den 20er-Jahren, religiöse Motive, abstrahierte Landschaften, futuristisch anmutende Porträts, Stillleben, heitere Landschaften. Der Zensur fielen sie alle zum Opfer. Weil die Bilder zwar einen Bauern, aber diesen nicht in aufrechter Haltung, sondern von der Arbeit gebückt auf dem Feld zeigten. Oder weil Schabbons "Kniender männlicher Akt in Landschaft" in expressionistischen Farben leuchtet. Adolf Hitler beschimpfte in seiner Eröffnungsrede zur Münchner Ausstellung 1937 jene "kleinen Kunstkleckser, die die heutigen Gestalten unseres Volkes nur als verkommene Kretins sehen, die grundsätzlich Wiesen blau, Himmel grün, Wolken schwefelgelb empfinden".

Einige Lebensläufe nahmen nach den Schrecken des Krieges eine unerwartete und unverhoffte Wendung. Erna Schmidt-Caroll erhielt kurz vor ihrem Tod 1964 von einem unbekannten Absender ihre verschollen geglaubten Bilder geschickt, die sie mit einem Kugelschreiber signierte. Oscar Zügel, der emigriert war, entdeckte 1951, dass irgendwo im Keller der Staatsgalerie Stuttgart Kisten mit seinen Bildern standen. Nicht zerstört. Nicht verbrannt. Und Georg Netzband hat nach der Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft seine Bilder an der Stelle gefunden, wo er sie vergraben hatte. Darunter auch ein Antikriegsbild, das er vier Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gemalt hat. "Der Sieger" zeigt den Tod im blutroten Mantel über dem Schlachtfeld mit Blick auf das zerstörte Berlin.

Die Ausstellung ",entartete' Kunst - Verfolgung der Moderne im NS-Staat" ist bis 11. September im Kallmann-Museum in Ismaning zu sehen. Geöffnet außer montags von 14.30 bis 17 Uhr. Weitere Infos unter www.kallmann-museum.de" class="more" rel="nofollow"%>.