Ingolstadt
Spaghettischneider, Pfahlschuhe und Tongranaten

Sonderausstellung im Stadtmuseum: "Die Schanz - Neues aus der alten Festung"

15.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:39 Uhr
Das eiserne Gestell im Vordergrund ist die Spaghettischneidemaschine der Firma Fein, die einst in der Harderbastei ihren Dienst tat. Ausstellungsführerin Uta Lottes zeigt den Besuchern gerne auch Munitionsfunde wie die zentnerschweren Steinkugeln oder die Tongranaten aus dem 17. Jahrhundert, die massenhaft in Ingolstadt hergestellt wurden. Das Bild vom Rathausplatz malte ein französischer Kriegsgefangener während seiner Inhaftierung in einem Ingolstädter Fort während des Ersten Weltkriegs. Ein Detail ist bemerkenswert: Das Rathaus trägt über dem Eingang noch das originale Dach. −Foto: Pehl

Ingolstadt (DK) Was macht die Schanz zur Schanz? Was macht einen Schanzer aus? Der Ursprung dieser Wortschöpfung ist in der Festungsgeschichte der Stadt zu suchen. Eine Sonderausstellung im Stadtmuseum präsentiert so manche Überraschungen und will diese Fragen beantworten - und zeigt Funde aus den Verteidigungsanlagen.

Was hat eine Spaghettischneidemaschine mit der Bayerischen Landesfestung in Ingolstadt zu tun? Nicht viel, werden viele erstmal sagen. Dennoch ist das eiserne Gestell Bestandteil der neuen, noch bis September laufenden Sonderausstellung "Die Schanz - Neues aus der alten Festung" im Stadtmuseum. Das Rätsel lässt sich jedoch schnell aufklären: In der dafür gut geeigneten Harderbastei produzierte die Firma Fein Nudelprodukte, bis sie wegen Mangels an Arbeitskräften den Betrieb im Jahr 1960 einstellen musste. Die Schneidemaschine hat sich bis heute erhalten und konnte vom Stadtmuseum in seinen Besitz übergeführt werden. In der laufenden Sonderschau wird sie neben etlichen anderen Objekten erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Ausstellung spannt mit teils einzigartigen Funden einen Bogen von den Anfängen der Festung im 16. Jahrhundert bis zu den Rüstungsbetrieben des 20. Jahrhunderts. Die "Schanz" ermöglichte die Entwicklung vieler Betriebe, bis hin zur Audi. Sie ist Grundlage der modernen Industriestadt Ingolstadt. Herzöge und Beamte, Professoren und Studenten, Generäle und Soldaten haben die Geschichte der Stadt geprägt.

"Die Ausgrabungen auf dem Gießereigelände sind der bisherige Höhepunkt bei der archäologischen Erforschung der wichtigsten bayerischen Festungsstadt", schreibt der Archäologe Gerd Riedel. Die Untersuchungen reichen bis in die 1990er Jahre zurück. Sie fanden an unterschiedlichen Stellen des Festungsgürtels statt, in den Basteien der Renaissance, in der Hauptumwallung des 19. Jahrhunderts oder am ehemaligen Militärhafen.Für alle Ingolstädter hat sich ein gemeinsamer Name gefunden: Sie waren und bleiben die "Schanzer". Der Begriff "Schanzer" ist heute in aller Munde und wird als Synonym für die Ingolstädter benutzt. "Der Ursprung dieser Wortschöpfung ist in der Festungsgeschichte der Stadt zu finden", so Riedel. Der Begriff taucht erstmals in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges auf und verbreitete sich im 19. Jahrhundert. "Immerhin waren einst bis zu 8000 Arbeiter für den Bau der Festung eingesetzt", weiß Ute Lottes, eine der Führerinnen durch die Schau. Und weil nicht wenige Soldaten früher ihren Wehrdienst in Ingolstadt ableisteten, verbreitete sich der Begriff in ganz Bayern.

Entsprechend ihrem Titel verzichtet die Ausstellung auf einen Rundumschlag, was nicht zu leisten wäre. Denn bereits im 14. Jahrhundert umgeben die Stadt mächtige Stadtmauern, die ab 1537 im Zuge der Erhebung zur bayerischen Hauptfestung um acht rechteckige oder rundliche Basteien (Esel-, Eis-gruben-, Ziegel-, Harder-, Kugel-, Kreuztor-, Frauen- und Münzbergbastei) erweitert wurden. Kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg entstehen zwischen den Basteien niedrigere Bastionen in Form mehrfach gestaffelter Erdwälle: die "sternförmige", barockzeitliche Festung.

Um 1800 schleifen die Franzosen unter Napoleon die Festung. Erst ab 1828 entsteht der fünfte Festungsring aus elf Abschnitten, den Fronten, mit repräsentativen Bauten im klassizistischen Stil. Das teuerste Bauprojekt unter Ludwig I. dient als Hauptlandesfestung und zentraler Waffenplatz. Ende des 19. Jahrhunderts entstehen zwei weitere Festungsringe: Erdwerke in zwei bis drei Kilometer Entfernung zur Stadt sowie gemauerten Forts mit einem Radius von etwa acht Kilometern. "Die Schanz als Landesfestung ist seit 500 Jahren Baustelle", bringt es Lottes auf den Punkt. Vielmehr wird der Besucher zu einem virtuellen Rundgang zur Festungsarchäologie eingeladen, der am Gießereigelände beginnt und etwa bis zum Scherbelberg geht und mit aktuellen Karten vom Wasserwirtschaftsamt unterlegt ist. Parallel dazu zeigt die Ausstellung ausgewählte Funde, wie etwa zahlreiche Holzpfähle in eisernen Pfahlschuhen sowie eine verzapfte Balkenkonstruktion, die das Fundament der Gebäude bildeten. "Die Festung stand auf hölzernen Füßen", sagt Lottes. Die Funde haben sich - auch zur Überraschung der Archäologen - wie viele andere auch gut erhalten, weil sie im feuchten Boden konserviert wurden und unangetastet blieben. "Man hat immer nur oben abgetragen und wieder aufgebaut, ging aber nie in den Untergrund", weiß Lottes.

Bei ihren Grabungen stießen die Archäologen auch auf Überreste soldatischen Lebens und natürlich auch auf Munition jeder Art wie Kanonenkugeln, Patronen oder Schrapnelle. Beeindruckend auch heute noch sind die vielen handgedrehten Tongranaten aus dem 17. Jahrhundert, die beim Bau einer Tiefgarage entdeckt wurden. Diese frühen Splitterbomben waren mit Schwarzpulver gefüllt und wogen bis zu 4,7 Kilo. Deutlich mehr brachten die großen Steinkugeln auf die Waage, die mit einer Blide, eine Art Katapult, bis zu 60 Meter weit geschleudert wurden.

Noch interessanter sind die Relikte der nachmilitärischen Nutzung der Festungsbauten. Neben der Spaghettischneidemaschine wurden in den Kasematten oder im alten Militärhafen (heute Sportbad), der am Schluss als Müllkippe diente, Bierkrüge, Glaswaren, eine schwimmende Badepuppe aus Porzellan oder auch ein Traggestell für einen Muli entdeckt: Die Wehrmacht hatte ihn für den späteren Kampf in der Alpenfestung in Ingolstadt deponiert. In den Forts gefangene Offiziere wie der Kunstprofessor Louis Antoni aus Algerien haben Ingolstadt im Ersten Weltkrieg gemalt. Das zentrale Bild zeigt Kriegsgefangene am Gouvernementsplatz - und das Alte Rathaus noch mit dem ursprünglichen Dach über dem Eingang.

Ein letzter Teil der Schau will den Menschen hinter der Festung zeigen - wobei gerade "der zivile Mensch in der Festung, als Arbeiter oder Arbeiterin der Rüstungsproduktion oder der Schanzer, im Fundgut bislang nur spärlich zu fassen ist", räumt Riedel ein. Doch haben sich seine Werkzeuge erhalten, wie etwa eine der beiden ältesten Schubkarren Mitteleuropas aus dem Jahr 1537, die in Ingolstadt entdeckt wurden. Sehenswert sind auch die Werkzeuge, die die Firma Röss zur Verfügung gestellt hat, darunter Schwellenzangen für den Eisenbahnbau oder einen alten Schrotthammer.

Bernhard Pehl