Auhof
Spagat für Menschen mit Behinderung

Teilhabegesetz im Auhof diskutiert Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich will Ängste nehmen

15.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Foto: DK

Auhof (HK) Es soll die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung fördern und ihnen die Tür zum gesellschaftlichen Leben weit öffnen: das Bundesteilhabegesetz, kurz BTHG. Um Fragen dazu zu klären, stattete Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich (SPD) dem Auhof einen Besuch ab.

"Ich will Ihnen Ihre Ängste gerne nehmen", sagte Martina Stamm-Fibich gleich zu Anfang. Doch so einfach war das nicht. Das musste auch schon Parteifreund Sven Ehrhardt vor einem halben Jahr feststellen. Damals war er gleicherorts Hauptredner bei der Tagung des Bezirksarbeitskreises (BAK) der Werkstatträte.

Martina Stamm-Fibich weiß noch aus ihrer Zeit als Betriebsrätin bei Siemens, wie schwer Teilhabe zu bewerkstelligen ist. Sie sprach auch gleich von sich aus die heiklen Punkte des Gesetzes an, das in vier Stufen bis 2023 endgültig umgesetzt sein soll. Die Erste hat in diesem Jahr schon gezündet. Sie brachte unter anderem eine bessere Mitbestimmung für die Mitarbeiter in den Behindertenwerkstätten. Stamm-Fibich wollte das im Auhof als Bekenntnis zu diesen Einrichtungen verstanden wissen. Im Gesetz sei dies deswegen verankert, "weil wir sie erhalten wollen", betonte sie. Das wiederum sei alles andere als eine Selbstverständlichkeit, denn diesen Rückhalt gebe es von der EU nicht, die wiederum mit ihrer Behindertenrechtskonvention den Stein des BTHG erst ins Rollen brachte.

Die Befürchtung vieler Behinderter ist deshalb, dass die Ermöglichung der Teilhabe nur ein Vorwand ist, die Werkstätten abschaffen zu können. "Ihre Ängste verstehe ich auch", solidarisierte sich Stamm-Fibich. Sie versicherte aber auch, dass unter Arbeitsministern Andrea Nahles ein äußerst differenziertes Gesetz entstanden sei, das solchen Fehlentwicklungen entgegenstehe. Es sei "trotz allem ein Meilenstein".

Außerdem sei ja noch ausgiebig Zeit, um nachzujustieren. So ganz wollten die Ängste aber nicht weichen, denn ausgerechnet die neue Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes gießt Öl ins Feuer der Befürchtungen. So ist es zwar für Behinderte durch das BTHG grundsätzlich möglich, als regulärer Arbeitnehmer einer Beschäftigung nachzugehen (wenn der Arbeitgeber zustimmt). Doch droht in diesem Falle die Gefahr, nicht mehr in die Werkstatt zurückkehren zu können, weil etwa durch eine Aufweitung der Arbeitszeit die Zugangsvoraussetzung weggefallen sein könnte.

In der Praxis aber werde dies nicht so stringent gehandhabt, versicherte auf Nachfrage Simon Lenk, Assistent der Werkstattleitung am Auhof. Es bleibe laut Sabine Eisemann, der Vorsitzenden des Bezirksarbeitskreises (BAK) der Werkstatträte und der Auhof-Werkstatt die Frage, was sich denn ändere, wenn man statt der Arbeit in der Werkstatt beispielsweise bei einer Tankstelle in Hilpoltstein beschäftigt sei. Die müsste nämlich die gleichen Rahmenbedingungen wie eine Behindertenwerkstatt anbieten - inklusive arbeitsbegleitender Maßnahmen.

Für die Firmen ein Kraftakt. Und für die bei ihnen arbeitenden Menschen mit Handicap macht es unter dem Strich "im Geldbeutel keinen Unterschied", wo sie tätig seien. Schlimmstenfalls sinke sogar der Rentenanspruch. Hemmnisse gibt es also auf beiden Seiten, deswegen "stehen Integrationsfirmen nicht gerade Schlange", so Stamm-Fibich.

Eine echte Chance gebe es aber etwa bei Großküchen, auch weil sie Jobs anbieten, die Werkstätten in der Regel nicht zur Verfügung stellten. Sie hoffe aber, dass wenn erst einmal genügend Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert seien, sich dann viele Diskussionen von selbst erübrigen.

Jürgen Zelter allerdings sieht den Zug gerade in die völlig andere Richtung fahren. Er ist Leiter der Werkstatt im Altdorfer Wichernhaus und zugleich Ansprechpartner für Bezirks- und Landessprecher der Werkstatträte. Es gebe einen deutlichen Trend zu psychischen Erkrankungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Betroffenen wiederum "drängen in die Werkstätten", so Zelter. Von dort in die Unternehmen sei der Weg oft schwer.

Das klappe oft nur über den Umweg mittels Zeitarbeitsfirmen, so Stamm-Fibich. Und es komme noch ärger: Gerade jene Stellen, für die Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt infrage kämen, brechen immer mehr weg. Doch vielleicht könnte ja gerade das BTHG die Initialzündung für die Veränderung dieses Marktes geben, wagte Ehrhardt eine mutige These.

Einen bitteren Beigeschmack bekam der Besuch von Stamm-Fibich gegen Ende, als Eisemann nachfragte, warum es immer noch kein Wahlrecht für Behinderte gebe. "Da gehen den Politikern viele Stimmen verloren. Außerdem ist das einfach unfair." Stamm-Fibich hatte sie da jedoch ganz auf ihrer Seite.