Ingolstadt
Soziale Kontakte bei Wurstbrot und Kaffee

In der Villa Johannes treffen sich Suchtkranke zum Brunch – auch um ihrem Alltag Struktur zu geben

29.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:53 Uhr

Austausch und Struktur: In der Villa Johannes treffen sich Suchtkranke zum Sonntagsbrunch - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Schon um sieben Uhr morgens klappert das Geschirr. Tische werden zusammengerückt und dekoriert. Dann wird gedeckt, kalte Platten mit Wurst und Gürkchen werden angerichtet und Brotkörbe bereitgestellt.

Kurz darauf schmort auch schon der Krustenbraten fürs Mittagessen im Rohr. Es ist der letzte Sonntag im Monat in der Villa Johannes, einem Häuschen, etwas abseits der Gaimersheimer Straße gelegen. Dort treffen sich sucht- und chronisch alkoholkranke Menschen zum gemeinsamen Brunch. Die Resonanz auf das Angebot, das seit Mai besteht, ist riesig: Um die 50 Betroffene kommen jeweils zusammen, um soziale Gemeinschaft zu erleben und Kontakte zu Leuten zu knüpfen, die dasselbe Schicksal teilen. Ein Mal im Monat sollen sie es sich richtig gut gehen lassen, genießen und sich miteinander unterhalten. Das pädagogische Motiv dahinter erfüllt aber noch einen anderen Zweck: „Für Menschen mit Suchtproblemen ist eine feste Tagesstruktur wichtig“, sagt Silvia Kopp, seit 2010 Sozialpädagogin in der Kontakt- und Begegnungsstätte der Caritas Kreisstelle Ingolstadt.

Diese Struktur bietet die Villa ihren „Besuchern“ – so werden Betroffene hier offiziell genannt – auch an allen anderen Wochentagen. Von Montag bis Freitag betreut die Einrichtung einen Stamm von etwa 120 Personen, die sich bis zu drei Stunden täglich in Küche, Haus und Garten nützlich machen oder in den Kellerräumen Montage- und Einsteckarbeiten verrichten, die von Firmen in Auftrag gegeben wurden.

Die Freizeitgestaltung kommt bei alledem aber nicht zu kurz: Am Nachmittag sitzen die Leute in der Villa zum Kartenspielen zusammen. Finanziell gefördert wird das Projekt durch den Bezirk Oberbayern. Die Lebensmittel für das gemeinsame Essen stammen von der Ingolstädter Tafel oder werden von der Einrichtung selbst gekauft. Dafür stehen 150 Euro zur Verfügung.

Klingt erst mal nach viel Geld. Trotzdem: „Ein Mittagessen darf im Schnitt nicht mehr als 1,50 Euro kosten“, rechnet Hans Würl vor, der die Küche mitorganisiert. „Aber daraus kann man schon was machen.“ Der 62-Jährige ist seit einer schweren Erkrankung Frührentner. In der Villa hilft der gelernte Koch seit vier Monaten mit. „Das macht Spaß und ist besser, als zu Hause Langeweile zu haben.“ Der Küchenmeister weiß, was die Leute hier gern auf dem Teller haben: „Hausmannskost und Eintopf kommen bestens an“, sagt er. Dann schaut er aufmerksam nach den im Wasser ziehenden Knödeln.

Sonja Mühlbauer (32) lässt sich gerade den Brunch schmecken, zu dem sie gemeinsam mit Freund Christian Pfaffelhuber (40) erschienen ist. In die Villa kommt sie, seit diese besteht – drei Jahre mittlerweile. Die gelernte Hauswirtschafterin arbeitet gern in der Küche oder kümmert sich mit ums Einkaufen. Was ihnen hier am besten gefalle? „Dass auch Obdachlose ein warmes Essen bekommen.“ Christian spricht aus Erfahrung: Drei Jahre hat er nach längerer Inhaftierung selbst auf der Straße gelebt und kam dann durch Bruder Martin von der Straßenambulanz zu einem Zimmer im Caritas-Wohnheim. Für ihn ist Silvia Kopp wie eine „Mutter Theresa“. Sie sei immer für die Leute da und habe ihm selbst schon oft geholfen. „Zum Beispiel bei Problemen mit Ämtern.“

Mitorganisator Gerald Baltrusch hat die Idee zum Brunch zusammen mit Kopp von München mit nach Ingolstadt gebracht. Der Chemnitzer hat lange in der Landeshauptstadt gewohnt und miterlebt, wie im Jahr 1991 in der Lukaskirche diese Einrichtung ins Leben gerufen wurde. „Das war immer super“, erinnert er sich. Kopp war von dieser Idee sofort „Feuer und Flamme“, und so gibt es den Sonntags-Brunch für sozial Benachteiligte jetzt auch in der Schanz.

Nicht nur für Baltrusch ist dies ein gesellschaftlicher Gewinn, hat er doch seit seinem Umzug nach Ingolstadt nicht nur positive Erfahrungen machen dürfen, was eine intakte soziale Gemeinschaft angeht: „Wenn man als Fremder hierher kommt, ist es nicht immer so einfach, Anschluss zu finden.“