Eichstätt
Solidarität als Empowerment

Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo zu Gast bei K'Universale - Leben und Schreiben als Schwarze Autorin

25.01.2021 | Stand 29.01.2021, 3:33 Uhr
Spritzig, klug und stets brennende Fragen rund um soziale Ungleichheiten, Diskriminierung und Rassismus im Blick: Die Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo spricht beim K? Universale-Vortrag über Solidarität und liest aus zwei ihrer Novellen. −Foto: Steinberger

Eichstätt - Wie erlebt eine in Berlin lebende schwarze Künstlerin die Corona-Pandemie und was bedeutet Solidarität aus ihrer Perspektive? Warum und wie stellt sie als Schriftstellerin ihre Literatur in den Dienst der "Black Lives"? Diese und viele andere Themen behandelte die Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo im Rahmen der K´Universale-Vortragsreihe "Solidarität".

In ihrem englischsprachigen Vortrag mit Lesung, den sie mit "For all those, who have been in crisis" -"Für all die, die in der Krise waren" - betitelt hatte, sprach die Bachmann-Literaturpreisträgerin über ihre Wahrnehmung solidarischen Handels, die Auswirkungen der Corona-Krise und ihre Arbeit und Motivation als schwarze Autorin und Aktivistin in Deutschland.

Dodua Otoo ist die Tochter ghanaischer Eltern, wuchs in London auf und studierte dort German und Management Studies. Seit 2006 lebt sie mit ihren vier Söhnen in Berlin, engagiert sich im Verein Phoenix, in der Initiative Schwarze Menschen und Adefra ("Schwarze Frauen in Deutschland") und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit politischen Fragen des Feminismus, des Weiß-Seins ebenso wie mit Kultur- und Bildungsthemen.

Dass sie sowohl in ihrer Kindheit in Großbritannien als auch als in Deutschland lebende Mutter und Autorin immer wieder Diskriminierungen verschiedenster Art erlebt hat, daraus machte die sympathische Schriftstellerin und Aktivistin von Anfang an keinen Hehl: "Jede kleine Bemerkung über mein Aussehen oder meine Herkunft kam bei mir als Botschaft an, dass ich nicht wirklich dazugehöre, dass mit mir etwas nicht stimmt", erinnerte sie sich. Sie habe Jahrzehnte gebraucht, um zu verinnerlichen, dass diese Botschaften diskriminierend waren - und noch immer sind - und dabei viel mehr über die Personen aussagen, die sie äußerten, als über sie selbst.

Im kreativen Schreiben und Engagement in verschiedenen Verbänden und Organisationen hat Sharon Dodua Otoo daher ein Medium gefunden, mit dem - in der Tradition von Schriftstellerinnen wie Toni Morrison beispielsweise - persönlicher und kollektiver Schmerz transformiert werden könne: "Als Schriftstellerin und Künstlerin bin ich tagtäglich Zeugin und kann meine Literatur in den Dienst der "Black Lives" stellen", betonte Dodua Otoo.

Das Thema Solidarität liege ihr dabei besonders am Herzen. Anders als K´Universale-Referentin Nicole Schneider, die sich mit der ganz besonderen Rolle von Fotografien und Bildern im Rahmen von sozialen Protestbewegungen gegen Rassismus in den USA beschäftigt hatte, stehen bei Dodua Otoo kreatives Schreiben und literarische Bilder im Vordergrund: "Ich schreibe als schwarze Schriftstellerin und Aktivistin, die mitten in das Geschehen in Deutschland eingebunden ist", konstatierte Dodua.

Der Begriff ?Solidarität' ist für die Autorin, die aus der Perspektive einer "schwarzen Deutschen" spreche, die für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung kämpft, ein äußerst schwieriger Terminus. So sehr Dodua Otoo Solidaritätsprojekte und -aktionen befürwortet, weisen sie ihr zufolge oft eine bevormundende Dimension auf, worin sich die tatsächlichen sozialen Machtstrukturen widerspiegelten. Solidarität käme dann eher einem einseitig definierten Verhalten gleich, das Menschen zugunsten anderer Menschen zeigen oder glauben, zeigen zu müssen, so beispielsweise im Engagement Weißer für Schwarze, Indigene oder Flüchtlinge. Dies sei selbstverständlich nicht falsch, aber in den Augen Doduas auch nicht ausreichend: "Für mich hat nur eine authentische Zusammenarbeit beider Parteien Sinn", sagte die Autorin und zitierte einen Ausspruch der Aborigine-Künstlerin und Aktivistin Lilla Watson aus dem australischen Queensland: "Wenn ihr hergekommen seid, um uns zu helfen, dann verschwendet ihr Eure Zeit. Wenn ihr hergekommen seid, um eure Befreiung mit unserer zu verbinden, dann lasst uns zusammenarbeiten."

Wirkliche Solidarität achte auf die Anhörung, Einbeziehung und Erfahrung der Betroffenen und gebe Hilfe zur Selbsthilfe - sie leistet "Empowerment", stellte die Referentin nachdrücklich heraus.

Mit kreativem Schreiben, so die Schriftstellerin, die ihrer Online-Zuhörerschaft in einer kleinen Lesung auch Eindrücke aus zwei ebenso spannenden wie humorvollen Kurzgeschichten bot, möchte sie daher auch auf gesellschaftliche Missstände hinweisen - ob es sich dabei um Rassismus als tief in der Gesellschaft und Psyche verwurzelte Denk- und Wahrnehmungsweisen, oder die spezifische Rolle der Frau, Bildungsungleichheiten oder das Thema Flucht und Umgang mit Flüchtlingen in unserer Gesellschaft: "Ich kann weder Synagogen schützen noch Flüchtlingslager abschaffen, aber ich bin Zeugin von Missständen und kann meine Literatur in deren Dienst stellen", betonte Dodua. Nicht nur einmal sei sie gefragt worden, warum sie dies tue und gewarnt worden, Politik besser nicht mit ihrer literarischen Arbeit zu vermischen: "Das sind Menschen, die rundherum zufrieden mit dem System sind, wie es ist, und letztlich meinen: ?Stelle dieses System nicht in Frage!'".

Doch Dodua Otoo, die ihre Zuhörerschaft immer wieder mit klugen Einschätzungen, messerscharfen Beobachtungen und zugleich Humor faszinierte, ist davon überzeugt: Es gibt viel zu ändern in unserer Gesellschaft - vor allem zugunsten derjenigen, die schon vor der Corona-Pandemie eine krisenhafte Situation erlebten. Zwar stellten die strengen Einschränkungen des öffentlichen Lebens für nahezu alle eine große Herausforderung dar, da es nie zuvor eingeschränkte Bewegungsfreiheit und Bürgerrechte gegeben hatte. Doch für all diejenigen, die sich bereits zuvor in einer Krise befunden haben, sei die Corona-Pandemie keine völlig neue Erfahrung gewesen - wenn sie beispielsweise an die Residenzpflicht von Flüchtlingen denke, die sich aufgrund ihres Status nur in engen geographischen Grenzen bewegen dürften.

Vor dem Hintergrund immer wieder erlebter Diskriminierung forderte sie ihre Zuhörer zu Offenheit, Selbstbeobachtung und Selbstkritik auf. Vorurteile überprüfen, stereotype Denkmuster hinterfragen, auf Sprache achten - all dies helfe dabei, gesellschaftliche Solidarität und letztlich auch Rassismus zu überwinden: "Denn es geht nicht darum, einen Menschen anhand der Hautfarbe zu erfassen, sondern darum, wie diese Person in der Gesellschaft positioniert wird, welche Erfahrungen diese Person macht", so Dodua Otoo.

Am 24. Februar 2021 erscheint Dodua Otoos erster Roman mit dem Titel "Adas Raum", in dem die Hauptfigur Ada zeitliche und räumliche Grenzen überschreitet. Sie lebt in Ghana, in England und in der deutschen Hauptstadt, erlebt das 16. Jahrhundert und das 19. Jahrhundert und ist nicht nur eine, sondern viele Frauen. Man darf gespannt sein.

EK