Neuburg
So viele Austritte wie noch nie

Immer mehr Menschen wenden sich von der katholischen und der evangelischen Kirche ab

24.01.2022 | Stand 28.01.2022, 3:35 Uhr
Der Turm der Neuburger Stadtpfarrkirche Heilig Geist. −Foto: Wöhrle

Neuburg - Noch nie sind so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten wie im vergangenen Jahr. Das gilt auch für die Pfarreien in Neuburg und Umgebung. Am Standesamt der Stadt Neuburg, bei dem auch die Zahlen aus Bergheim, Oberhausen, Rohrenfels und Burgheim erfasst werden, wurde mit 334 Austritten im Jahr 2021 ein neuer Höchstwert verzeichnet. Und auch im neuen Jahr setzt sich der Trend weiter fort. In den ersten drei Januarwochen erschienen bereits 23 Bürger auf dem Amt, denn der Kirchenaustritt muss persönlich vor dem Standesbeamten (oder einem Notar) erfolgen.

Auch in den umliegenden Gemeinden gehen die Zahlen deutlich nach oben. In Karlshuld haben sich im vergangenen Jahr 72 Mitglieder aus ihrer Kirche verabschiedet, nach 58 im Jahr 2020 und 66 im Jahr 2019. In Königsmoos waren es im vergangenen Jahr 46 und in den Vorjahren 42 (2020) beziehungsweise 38 (2019). In Ehekirchen haben 37 Menschen im Jahr 2021 der Kirche den Rücken gekehrt, 16 im Jahr 2020 und 23 im Jahr 2019. In Oberhausen wurden im vergangenen Jahr 42 Kirchenaustritte registriert, nach 30 Austritten im Jahr 2020 und 26 im Jahr 2019. In Weichering und Lichtenau haben sich 2020 insgesamt 28 Menschen aus der Kirche verabschiedet, in den Vorjahren waren es 17 (2020) und zehn (2019). Dabei sind die katholische und die evangelische Kirche gleichermaßen betroffen. In überwiegend katholischen Gemeinden wenden sich mehr Katholiken von ihrer Kirche ab, dort, wo die evangelischen Christen in der Überzahl sind, ist es umgekehrt.

"Die Zahlen werden mehr", beschreibt Dekan Werner Dippel (Foto links), Leiter der Pfarreiengemeinschaft Burgheim, die Entwicklung. Die Gründe dafür sind seiner Meinung nach unterschiedlich. Viele, die austreten, hätten sich schon längst von der Kirche entfremdet und würden das ganze Jahr über keinen Gottesdienst besuchen. "Wer seit Jahren keinen Bezug mehr hat und auch nichts gebraucht hat, der fragt sich: Warum bin ich da noch dabei", so Dippel, der zudem einen Stadt-Land-Unterschied feststellt. "Die Entfremdung von der Kirche findet in Großstädten mehr statt als auf dem Land", beobachtet er. Nicht hilfreich sei auch die "Großwetterlage der katholischen Kirche, vor allem in den oberen Reihen", erklärt der Dekan. "Das bringt das Fass bei manchen dann zum Überlaufen."

Auch die vielen Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche, die seit einiger Zeit die Medien beherrschen, tragen mit zu den vielen Kirchenaustritten bei, ist sich Dippel sicher. "Das spielt auf alle Fälle mit hinein", sagt er. Er werde immer wieder darauf angesprochen: "Das beschäftigt die Leute natürlich." Er selbst sei erschüttert über die Fälle von sexuellem Missbrauch, die nach und nach bekannt wurden. "Ich bin beschämt und es tut mir wahnsinnig leid", erklärt der Dekan.

Die vielen Kirchenaustritte machen auch der evangelischen Kirche zu schaffen. "Jeder Fall ist bedauerlich", betont Pfarrer Steffen Schiller (Foto rechts) von der Neuburger Christuskirche. Die Menschen wenden sich aus den unterschiedlichsten Gründen von der Institution Kirche ab, ist er sicher. "Menschen trennen heute sehr deutlich zwischen ihrem persönlichen Glauben und ihrer Mitgliedschaft in einer Kirche", sagt Schiller. "Das war früher anders." Viele, die austreten, würden sich nach wie vor als Christinnen und Christen verstehen. Oft höre er die Meinung: "Für meinen persönlichen Glauben spielt die Kirche keine Rolle."

Die große Zahl der Austritte sei zu bedauern, erklärt Pfarrer Schiller. "Wir haben die Menschen nicht binden können, aber die Entscheidung ist zu respektieren." In der Vergangenheit habe er immer wieder Gesprächsangebote gemacht, die aber nicht angenommen worden seien. "Es kam nie eine Reaktion", so Schiller.

Auch der Christuskirchen-Pfarrer stellt fest, dass die Austrittszahlen im ländlichen Bereich immer noch niedriger sind als in der Stadt.

Wie sein katholischer Kollege Dippel beobachtet auch er, dass sich vor allem diejenigen abwenden, die zu der Institution Kirche keine persönliche Bindung aufgebaut haben. Die Taufe und meistens auch die Konfirmation werde noch angenommen. "Danach geht beim Großteil die Bindung an die Kirchengemeinde verloren", bedauert Schiller. Viele würden sich sagen: "Wenn ich schon die Angebote meiner Kirchengemeinde nicht annehme, warum soll ich dann Kirchensteuer zahlen?" Hinzu komme, dass sich viele heute nicht mehr gerne binden würden, sondern lieber punktuell Angebote wahrnehmen würden.

Wie schwierig es ist, mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, die die Kirche verlassen, hat auch Dekan Dippel festgestellt. Jeder Ausgetretene bekommt von ihm einen Brief mit einem Fragebogen. "Da kommt kein Fragebogen zurück", bedauert der Dekan.

DK