Ingolstadt
"So spüre ich das Leben am meisten"

Extrembergsteiger Hans Kammerlander fühlt sich in den Bergen zu Hause heute ist er in Ingolstadt

11.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:58 Uhr

Bezwinger des Matterhorns: Schon seit Hans Kammerlander acht Jahre alt ist, packte den gebürtigen Südtiroler die Lust auf die Gipfel der Berge zu klettern. - Fotos: Hans Kammerlander

Ingolstadt (DK) Es gibt kaum einen Berg auf der Welt, auf dem er noch nicht war. Alle 8000er hat der Südtiroler Hans Kammerlander (61) bis jetzt bestiegen - bis auf den Manaslu. Ein zweiter Versuch scheiterte im November 2017. Warum er trotzdem seinen Frieden mit dem Manaslu gefunden hat, erzählt er im Interview.

In Ihrem Vortrag heute Abend geht es um die "Matterhörner" dieser Welt. Dazu haben Sie sich auf die Suche nach den schönsten Bergen gemacht. Haben Sie ihn gefunden?

Hans Kammerlander: Nein, denn das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das Wetter und das ganze Umfeld müssen stimmen. Von der Form die schönsten habe ich aber viele gefunden. Vom Erlebnis her kann man das glaube ich nicht planen. Das Matterhorn ist von der Form her aber wirklich ein Musterberg, kein Berg wird so viel fotografiert oder als Motiv verwendet. Ich habe in den vielen Jahren auf der ganzen Welt sehr ähnliche Gipfel gesehen. Und da habe ich mir gedacht: Geh doch hiná †auf auf diese wirklich außergewöhnlichen Perlen. Und das habe ich gemacht und dabei viel erlebt.

Was ist das Besondere für Sie, wenn Sie auf Berge steigen. Ist es die Einsamkeit? Oder die Ruhe, die Sie da oben ganz besonders fasziniert?

Kammerlander: Ja, die Einsamkeit ist natürlich faszinierend. Da erlebt man alles viel, viel intensiver. Und natürlich mag ich auch die Täler da unten, die Menschen und die Kulturen dieser Erde. Ich war ganz lange - ich glaube 25 Jahre lang - getrieben vom alpinen Wettkampf. Da zählten zu sehr der Gipfel und die Wand, und das Drumherum um die Berge war weniger wichtig. Da möchte ich jetzt etwas nachholen und ich bin auf einem guten Weg.

Neben dem Klettern setzen Sie sich auch schon lange für soziale Einrichtungen ein. Darunter ein Verein aus unserer Umgebung: die Nepalhilfe Beilngries. Wie kam es dazu?

Kammerlander: Das ist mir jetzt wichtig geworden. Ich habe so viel Unterstützung und Positives von diesen Menschen mitbekommen. Da wollte ich ihnen einfach auch etwas zurückgeben. Wir haben inzwischen wirklich schöne Projekte, über die ich sehr glücklich und auf die ich stolz bin. Zum Beispiel haben wir 25 Schulen gebaut und Kinderheime. Und es ist einfach gut, wenn so ein Bau fertig ist; ein Glücksgefühl.

Sie haben in Ihrer Laufbahn als Bergsteiger fast alle 14 8000er erklommen. Der letzte, der Ihnen fehlt, ist der Manaslu. Bereits 1991 haben Sie einen Versuch gewagt, der dramatisch scheiterte. Zwei Ihrer Kollegen, Friedl Mutschlechner und Carlo Großrubatscher, starben bei dem Versuch. Lange wollten Sie nicht mehr den Berg besteigen. Im November vergangenen Jahres haben Sie dann wieder einen Versuch gewagt, aufgrund des schlechten Wetters musste der zweite Versuch abgebrochen werden. Haben Sie trotzdem Ihren Frieden mit dem Berg gefunden?

Kammerlander: Mei, ich bin eigentlich glücklich, dass ich wieder dort war. Ob es jetzt gelungen oder nicht gelungen ist, das ist nicht so ausschlaggebend. Wir hatten unglaublich viel Schnee gehabt. Aber sonst traumhaftes Wetter. Und ich habe den Berg erlebt. Ich war bei den Kollegen nahe dran, wo sie verunglückt sind. Aber das hat mich gar nicht negativ beeinflusst. Ich war froh, dass ich wieder hier war. Es ist ein guter Abschluss.

Bei dieser Expedition war ja auch ein Kamerateam dabei.

Kammerlander: Ja, wir sind dabei, einen Kinofilm zu drehen. Demnächst sind die Dreharbeiten fertig. Der ganze Lebenslauf - mit dem Schwerpunkt dieser weite Weg, diese Tragödie und das Ganze um den Manaslu. Er wird im Oktober in den deutschen Kinos laufen.

Können Sie noch etwas mehr über den Film erzählen?

Kammerlander: Es ist ein Lebenslauf mit all den Höhen, aber auch mit Tiefen. Und es ist ein Film, der ein bisschen mehr in die Tiefe geht. Nicht ein Aufzählen der Erfolge, das ist mir gar nicht wichtig. Das brauche ich nicht. Dem Publikum muss ich doch nicht meine Erfolge aufzählen. Da käme ich mir doch ein bisschen komisch vor.

Sie gehen immer ohne Sauerstoffflasche auf einen Berg. Wieso machen Sie das?

Kammerlander: Ich bin ja Höhenbergsteiger. Und wenn ich Sauerstoff verwende, dann hat das nichts mehr mit Höhenbergsteigen zu tun. Das ist genau so, wie wenn bei der Tour de France jemand mit einem leichten Motorrad mitfahren würde.

Aber ist das nicht gefährlich?

Kammerlander: Ja, das soll es ja auch sein. So spüre ich das Leben am meisten. Wenn ich auf der Couch liege, dann spüre ich den Berg des Lebens einfach nicht so. Aber wenn ich aufpassen und mich voll konzentrieren muss, dann merke ich, wie wertvoll das Leben eigentlich ist. Und dieses Restrisiko nehme ich einfach in Kauf, damit kann ich ganz gut leben. Der Inhalt des Lebens ist einfach mehr, wenn man etwas unternimmt.

Sie klettern nicht nur auf die Berge, sondern fahren auch mit Skiern wieder hinunter. Sie sind auch der Erste, der den Mount Everest mit Skiern heruntergefahren ist. Was war das für ein Gefühl?

Kammerlander: Das kann man mit Worten eigentlich gar nicht beschreiben. Denn das sind Jahre, die in diesem Moment drinstecken. Jahre der Vorbereitung. Und dann die steilen Flanken, und dann sieben, acht Wochen Training in großen Höhendepots.

Gab es dort oben einen besonders intensiven Moment?

Kammerlander: Mein intensivster Moment in meiner Bergkarriere war sicherlich der, als ich ganz alleine am Gipfel war und mit den Skiern in die Tiefe schaute. Das sind schon starke Überwindungen. Und unbeschreibliche Augenblicke, weil du weißt einfach, du darfst dir keinen Fehler erlauben. Wenn du einen machst, dann war's das einfach.

Sie sind auch schon lange mit Ihrem Landsmann Reinhold Messner befreundet, haben viele Berge mit ihm bestiegen. War er Lehrer oder mehr Weggefährte?

Kammerlander: Nein, er ist ja doch fast 15 Jahre älter und ich bin als Neuling auf die hohen Berge der Welt. Ich war damals Bergführer und ein guter Kletterer, aber noch nie in der Höhe. Und ich bin an seiner Seite aufgebrochen. Das war natürlich ein unbeschreiblich großer Lehrmeister.

Was haben Sie denn von Messner gelernt?

Kammerlander: Natürlich, wie man sich in der Höhe verhält. Dass man da nicht mit der Brechstange rangehen kann, sondern es Schritt für Schritt probieren muss. Ich habe von ihm vor allem gelernt, dass man auch schwere Entscheidungen treffen muss: Auch mal umdrehen, wenn man irgendwelche Zweifel hat. Selbst, wenn der Gipfel ganz nahe ist, zu sagen: Wenn wir jetzt weitergehen, dann gehen wir in ein zu großes Risiko hinein. Also lassen wir es sein. Diese Entscheidungen sind ganz wichtig. Das habe ich von ihm gelernt.

Noch eine letzte Frage. Heute Abend sind Sie in Ingolstadt. Was erwartet die Zuhörer?

Kammerlander: Sie werden außergewöhnlich schöne Berge sehen, aber auch außergewöhnlich schöne Landschaften. Und steile Wände, denn die Matterhörner sind steil. Eine Vielfalt an Kultur zwischen Rocky Mountains, Nepal, Norwegen, Schweiz und Indien. Und verblüffend ähnliche Berge, wie das Matterhorn. Ich erzähle das gerne, denn da hat der Naturfreund Spaß dran. Und das ist mir das Wichtigste. Wenn sie heimgehen und sagen: Es hat sich gelohnt, den Abend freizuhalten.

Das Interview führte

Thomas Leurs.

Die Veranstaltung "Hans Kammerlander Live - Matterhörner dieser Erde" beginnt am heutigen Freitag um 20 Uhr im DAV-Kletterzentrum, Baggerweg 2.

ZUR PERSON

Hans Kammerlander wurde 1956 im kleinen Ort Ahornach in Südtirol geboren, wo er bis heute lebt. Schon als kleiner Bub begann er zu klettern. Bis heute absolvierte er rund 3500 Kletter- und Bergtouren auf der ganzen Welt, darunter 50 Erstbegehungen.