"So schlimm war's noch nie"

Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef im Bundestag, über Stillstand in der Regierung

17.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:29 Uhr
Anton Hofreiter (Grüne). −Foto: Tobias Hase/Archiv


Herr Hofreiter, die Grünen wären im vergangenen Herbst um ein Haar Mitglied in einer Jamaika-Koaliton geworden. Aber dann legte sich die FDP quer und sie blieben in der Opposition. Seitdem geht es mit Ihrer Partei steil aufwärts. Haben Sie sich denn schon beim FDP-Vorsitzenden Christian Lindner bedankt?  

Anton Hofreiter: Der abrupte Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen damals war verantwortungslos – dafür gibt’s keinen Dank. Dass unsere Umfragewerte jetzt so gut sind, freut mich. Doch das ändert leider nichts daran, dass die Bundesregierung eine katastrophale Politik macht. Gerade im Bereich Klimaschutz, aber auch bei anderen Themen ist viele Jahre nichts passiert. Wenn man mit Leuten aus den Ministerien oder aus den Verbänden spricht dann sagen die: „So schlimm war’s noch nie.“  

Inwiefern? 

Hofreiter: Dass wenig vorangeht, dass die Regierung zerstritten ist. Wir erwarten, dass die Bundesregierung  endlich ihren Job macht. Es gibt so viele Dinge anzupacken. Die große Koalition und insbesondere die Union ist zu einer Nein-Sager-Partei geworden.  

Klimaschutz erlebt doch momentan einen Hype. Dringt das nicht bis zur „großen Politik“ durch?  

Hofreiter: Klimaschutz spielt in der öffentlichen Debatte eine ganz große Rolle – aber relevante Gesetze wurden von der Bundesregierung trotzdem noch nicht verabschiedet. Denken Sie zum Beispiel an den Kohleausstieg: Da hat die Kommission ihren Abschlussbericht pünktlich übergeben, seit einem halben Jahr liegt der unbearbeitet in den Schubladen des Wirtschaftsministeriums. Denken Sie an den CO2-Preis oder an ein verbindliches Klimaschutzgesetz: Da ist auch noch nichts passiert. 

Welche Rolle spielt die Bewegung „Fridays for Future“ für den Höhenflug der Grünen?  

Hofreiter: Die Klimaschutzdebatte ist ein Grund dafür, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung so gut dastehen. Aber auch die Fehler der Bundesregierung tragen mit dazu bei. Und unsere Parteivorsitzenden machen einen klasse Job.  

Wird Ihnen der aktuelle Hype um die Grünen nicht manchmal ein wenig unheimlich?   

Hofreiter: Wir beobachten unsere Umfragewerte mit einer gewissen Demut. Wir haben ja schon verschiedene Aufs und Abs erlebt. Das Wichtigste ist, dass wir weiterhin in der Opposition eine vernünftige inhaltliche Arbeit machen.  

Gelingt das? Der SPD-Politiker Franz Müntefering hat einmal frustriert gesagt „Opposition ist Mist!“ 

Hofreiter: Das ist  Quatsch, weil zu einer Demokratie eine gute Opposition gehört. Es gelingt uns, gute Vorschläge zu machen – aber leider zieht die Bundesregierung nicht nach. Sie ist immer noch in der Phase des Schwadronierens.  

Ein wichtiges Thema ist der Verkehr. Sie haben sich  früh gegen  eine Autobahnmaut für Ausländer ausgesprochen. Nun hat Verkehrsminister Andreas Scheuer damit Schiffbruch erlitten. Spüren sie etwas  Schadenfreude? 

Hofreiter: Überhaupt nicht! Das Problematische daran ist, dass Millionen Euro an Steuergeldern versenkt worden sind. Weil unverantwortlicherweise die Verträge abgeschlossen worden sind, noch bevor klar war, ob es juristisch geht. Jetzt drohen dem Bund auch noch hunderte von Millionen Schadensersatz. Das ist einfach nur bitter. Denn gerade in dem Bereich Verkehr gäbe es so viel zu tun! Die Bundesregierung muss endlich die Bahn auf Vordermann bringen, die Fahrrad- und Fußgängerfreundlichkeit in den Städten verbessern und  der Autoindustrie bestimmte Rahmenbedingungen setzen.  

Welche Botschaft haben Sie denn für die Menschen, die zum Beispiel in Ingolstadt und der Region in der Automobilindustrie arbeiten? Viele Menschen haben die Sorge, da würde eine deutsche Schlüsselindustrie mutwillig zerschlagen.  

Hofreiter: Die Zukunft der hiesigen Automobilstandorte ist auch eine ganz große Sorge von uns. Die Konkurrenz schläft ja nicht. Wir glauben, dass man die Arbeitsplätze am ehesten dann retten kann, wenn man möglichst schnell auf moderne Technologien setzt – auf emissionsfreie Mobilität. Ich habe den Eindruck, dass das in vielen Bereichen der Wirtschaft im letzten halben Jahr begriffen wurde, nicht aber in der Bundesregierung.  

Es gibt in jüngster Zeit immer wieder den Vorwurf, die Grünen seien inzwischen eine Partei der Besserverdiener. Ökologie muss man sich schließlich leisten können.  

Hofreiter: Das ist Unsinn. Klimaschutz ist auch eine soziale Frage. International trifft die Klimakrise schon heute die Ärmsten am meisten, zum Beispiel die Bauern in Bangladesch, die ihren Lebensraum verlieren. Und auch in Deutschland hängen Klimaschutz und Gerechtigkeit zusammen. Beim Thema ökologische Landwirtschaft bin ich der Meinung, dass wir unsere Gesellschaft so gerecht gestalten müssen, dass sich jeder anständiges Essen leisten können sollte. Und es ist doch ungerecht, dass die mit geringerem Einkommen, häufig an den breiten Ausfallstraßen leben und damit mehr schmutzige Luft einatmen. Am Ende muss man sich darüber Im Klaren sein: Natürliche Lebensgrundlagen braucht jeder, egal, ob er mehr oder weniger Geld hat. 

 
Die Fragen stellten   Richard Auer und Peter Felkel.