Sinnliches Charisma, geschliffene Technik

02.05.2007 | Stand 03.12.2020, 6:47 Uhr

Ingolstadt (DK) Ein Winzermädchen verliebt sich in den schönen Albrecht. Der allerdings ist Adeliger und schon standesgemäß verlobt mit Bathilde. Das Mädchen vom Dorfe, zart und leicht kränklich, stirbt an gebrochenem Herzen: "Giselle", diese romantisch tragische Liebesgeschichte, wurde 1841 an der Pariser Oper zur Auftragskomposition von Adolphe Adam von den Choreografen Jean Coralli und Jules Perrot uraufgeführt.

Dass die Ingolstädter Bühne für die Bolschois ungewohnt war, die Tänzerinnen verunsichert auch mal von der Spitze kamen, ist nicht wesentlich. Aber "Giselle" braucht Abstand. Als Zuschauer sitzt man in diesem knapp 700-Plätze-Parkett zu nah dran am Bühnengeschehen. Und da fällt dann besonders auf, dass die in diesem Ballett so wichtige Pantomime – die subtil erzählende Sprache der Gesten und Blicke – nicht so herauspoliert, nicht so geprobt ist, wie es gerade dieser erste Akt verlangt.

Die genannten Abstriche einmal beiseite, bietet sich in dieser bäuerlichen Rheintal-Szenerie doch viel anmutiger Tanz von Winzermädchen und ihren Partnern. Ausgesprochen schön und präzise getanzt der Bauern-Pas-de-huit (überraschend klein die vier Männer). Und sehr natürlich Marianna Ryzhkina und Sergey Filin als Giselle und Albrecht. Bei den beiden kein altmodisches Ballett-Pathos, keine "gesetzten Gesten". Da sind einfach zwei junge Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen. Harmonisch auch ihre Bewegungen im Pas de deux. Bei den hohen Hebungen ist für den Zuschauer weder Ryzhkinas Körpergewicht noch Filins Anstrengung zu spüren. Das ist umso bewundernswerter, als die beiden hier zum ersten Mal zusammen tanzen. Diese nicht so ganz einfache "Premiere" scheint dann wohl auch der Grund, dass die akademisch korrekt und ästhetisch schön ausgeführte Geste, der Ports de bras, nicht immer so ganz aus der Tiefe des Gefühls fließen konnte.

Auch im zweiten, im "Weißen Akt", schien uns die Ryzhkina nicht immer in innerem Atemgleichklang mit ihrer Rolle der jenseitigen Wilis, Schwester jetzt dieser in der Liebe betrogenen, früh verstorbenen Bräute, die nächtens untreue Männer zu Tode tanzen. Ihre schwebenden, romantisch sich auflösenden Ports de bras jedoch, ihr leichter luftiger Sprung machen sie zur idealen Giselle-Interpretin. Sergey Filin ist ein Albrecht mit sinnlichem Charisma, von geschliffen federnder Technik, der auch den bereuenden Albrecht glaubhaft macht. Traumschön das Corps der weißen Wilis in seinen sanften Reigen und aggressiven Momenten, angeführt von Maria Allashs gläsern kühler Myrtha.

Adolphe Adam hat man schon klangschöner, vornehmer im Stimmungswechsel gehört. Aber das Georgische Kammerorchester Ingolstadt, kurzfristig um einige Bläser ergänzt, hatte offensichtlich nicht genug Zeit, um sich auf dieses gewichtige Gastspiel einzustellen. Aber nicht unliebsam mit Tanz umgehende Livemusik immerhin. Und letztlich: Wie schön doch, dass dieses Gastspiel überhaupt zustande kam.