Sind nur Denkmäler erhaltenswert?

20.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:28 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Stadthistoriker Siegfried Hofmann zählt zu jenen Ingolstädtern, die gegen den Abbruch des Empfangsgebäudes vom Nordbahnhof sind. Für ihn zählt nicht allein der Denkmalwert, sondern ebenso der in der Bevölkerung verankerte Erinnerungswert. Hier seine Einschätzung.

"Die Diskussion über den Abbruch des Empfangsgebäudes des Nordbahnhofs mag deutlich machen, wie notwendig ein grundsätzliches Nachdenken darüber sein kann, was in unserer Stadt erhaltenswert ist. Blickt man auf das letzte halbe Jahrhundert zurück, steht einem vieles an Gewinn, aber auch manches an Verlust vor Augen.

Gerade beim Nordbahnhof wird bewusst, wie ein mehr oder weniger schnelles Urteil über den Denkmalcharakter eines zum Abbruch stehenden Gebäudes für eine Entscheidung nicht ausreicht. Dabei sollte über das "amtliche" Urteil aus der Sicht der Denkmalpflege hinaus auch das allgemeine Bewusstsein des Volkes nicht vergessen werden.

Was ein Bauwerk zum Denkmal macht, wurde im letzten halben Jahrhundert mit zum Teil nicht mehr gut zu machenden Folgen beurteilt. Dies beginnt schon mit der Frage nach dem architektonischen Wert. Dass herausragende Bauwerke wie St. Moritz, das Münster und die Maria de Victoria nicht zur Debatte standen, ist selbstverständlich. Bei anderen konnte auch der Charakter eines Baudenkmals den Abbruch nicht verhindern. Trotz des unbestrittenen Denkmalcharakters war es nicht gelungen, das Donautor zu erhalten, das im Zuge des neuen Donaubrücke abgebrochen wurde.

Es sei auch daran erinnert, wie abfällig noch um 1960 viele in Ingolstadt sogar über die Festungswerke am Brückenkopf sprachen. Schon 1947 wurde der westlich des Turm Baurs gelegene "Rote Turm" gesprengt. Mir bleibt unvergessen, wie Hardt-Waltherr Hämer bei einer öffentlichen Diskussion für die Erhaltung der Klenzebauten eingetreten war. Ich erinnere mich auch eines Gesprächs über den damals bevorstehenden Abbruch des Kavaliers Spreti, als der von mir sonst hoch geschätzte Oberbürgermeister lapidar erklärte, dass in Ingolstadt wegen der notwendigen Straßen nur ein einziges Kavalier als Beispiel erhalten werde.

Sogar bei der Stadtmauer kam es zu Abbrüchen. Unvergessen ist, wie beim Münzbergtorturm Schüler des Scheiner-Gymnasiums statt des Unterrichts die Mauer besetzten, wodurch freilich nur ein Aufschub um einen Tag erreicht wurde.

Und nun der Nordbahnhof. Man mag aus übergeordneter denkmalpflegerischer Sicht darüber lächeln. In seiner zugegebenermaßen veränderten Substanz ist er – wohl nur noch auf Wochen – ein historisches Dokument sondergleichen. Gerade in seiner Lage und architektonischen Anspruchslosigkeit stellt er vor Augen, was der Festungscharakter Ingolstadts für die Stadt auch im Blick auf deren Wachstum bedeutet hatte. Höheres und Größeres hatte man aus militärischer Sicht nicht zulassen können! 1828 hatte die Stadt die Grundsteinlegung zur Festung euphorisch begrüßt, und in der Tat bedeutete das auch wirtschaftliche Blüte.

Wie sehr dies auch zur Fessel wurde, zeigt gerade der Nordbahnhof. Eine noch so gut gemeinte, wenn auch wichtige Dokumentation auf Papier kann die Konfrontation mit diesem Bauwerk nicht ersetzen. Historische Zeugnisse sind verpflichtendes Erbe und Last zugleich. Man wählt nicht aus einem überkommenem Fundus das eine oder andere aus – man hat Geschichte."