Ingolstadt
Simultan mitdenken

20 Dolmetscher sind bei der Audi-Pressekonferenz im Einsatz

02.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:08 Uhr
Bei den Interviews am Nachmittag wird zum Teil auch konsekutiv gedolmetscht: Dabei macht der Redner nach ein paar Sätzen eine Pause, damit der Dolmetscher übersetzen kann. Wie sie sich das Gesagte merkt, erklärt Ulrike Deiser-Bollinger mit einem Beispielsatz. »Ich freue mich, dass ich heute über die Entwicklung der Automobilindustrie sprechen darf«, notiert sie in ihrer individuellen Symbolschrift. Unten rechts sind ein Auto und ein Schornstein für »Industrie« zu sehen. −Foto: Hammer

Ingolstadt (akd) Der Weltgesundheitsorganisation zufolge haben sie den drittstressigsten Job nach Düsenjetpiloten und Fluglotsen: Simultandolmetscher. "Sobald die Gedanken abschweifen, hat man verloren", sagt Ulrike Deiser-Bollinger. Die Münchenerin ist eine von zwanzig Dolmetschern, die heute bei der Audi-Pressekonferenz die Reden, Fragen und Antworten in neun Sprachen übertragen.

Weil das extrem anstrengend ist, wechseln sich die beiden Partner alle 30 Minuten ab. Dazwischen habe man aber keine Pause, erzählt die 51-Jährige. Wenn sie nicht selbst spricht, notiert sie für ihren Kollegen Zahlen - die dieser ablesen kann, wenn es zu schnell ging - und hilft bei komplizierten Wörtern aus. "Wir denken als Kabine", bestätigt Christopher Groß. Er ist gemeinsam mit einer Kollegin fürs Englische zuständig. "Da geht es um mehr, als die Worte von A nach B zu übertragen", sagt der 48-Jährige: "Der kulturelle Kontext ist wichtig." Seine Mutter ist Engländerin und auch Deiser-Bollingers Mutter hat lange in Spanien gelebt. Da bekomme man ein Gefühl, wie man eine Botschaft angemessen rüberbringt, sagen beide. Als Beispiel nennt Groß das deutsche Wort "geil", das jüngere Sprecher immer häufiger verwenden - das aber in vielen Sprachen direkt übersetzt unpassend wirkt.

Dieses konkrete Problem stellt sich heute wohl eher nicht, dafür werden Technik- und Wirtschaftsvokabeln eine wichtige Rolle spielen. Die beiden selbstständigen Dolmetscher arbeiten schon seit Jahren für Audi. Trotzdem hat Deiser-Bollinger vorsorglich eine Liste mit Kfz-Begriffen auf dem Laptop parat. Außerdem in der Kabine dabei: Block und Stifte, die vorläufigen Redemanuskripte und, ganz wichtig, viel Wasser. Um 7 Uhr beginnt der Arbeitstag der Dolmetscher mit einer Tonprobe. Von 10 bis 12 Uhr sitzen sie während der Konferenz in ihrer Kabine. Danach haben viele Journalisten Einzelinterviews gebucht. Bis 18 Uhr sind die Dolmetscher noch im Einsatz.

Das sei eine Herausforderung, mache aber auch viel Spaß, sagt Groß. Seine Kollegin mag an ihrem Beruf vor allem, dass die Arbeit so fokussiert ist. Alltagsprobleme sind weit weg, wenn es darum geht, innerhalb von Sekundenbruchteilen zu erfassen, worauf der Sprecher hinauswill. Schließlich kommt das Wichtigste im Deutschen oft erst am Satzende, muss in anderen Sprachen aber am Anfang stehen. Zusätzlich dazu müssen die Dolmetscher sofort reagieren, wenn zum Beispiel ein Journalist aus Ungarn eine Frage stellt. Dann schalten alle Dolmetscher die Ungarisch-Deutsch-Übertragung auf ihren Kopfhörern zu - um deren Inhalt wiederum in ihrer eigenen Sprache wiederzugeben.

Ein gewisser "Nervenkitzel" sei in der Kabine immer dabei, sagt Deiser-Bollinger. Sowohl ihr als auch ihrem Kollegen Groß ist die Verantwortung, die sie tragen, bewusst: Nur dank der Dolmetscher können sich die Konferenzteilnehmer auf einem hohen Niveau verständigen. Trotzdem werden die beiden für die Gäste unsichtbar bleiben. Deiser-Bollinger zufolge gehört das zum Beruf dazu: "Wenn man nicht spürt, dass wir da sind, machen wir unsere Arbeit am besten."