Ingolstadt
Sieben Stunden lang der 88-Sekunden-Takt

Bei einer Sonderführung geht Audi tief in die Hightech-Welt seiner Produktion – Die Besucher sind begeistert

24.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:12 Uhr

Höchste Präzision: Bei den einzelnen Arbeitsschritten greifen die Roboterarme unermüdlich und millimetergenau zu. Audi-Mitarbeiterin Hanna Maraun führt die Gruppe mit viel Souveränität, Sachverstand und Kurzweil durch die Hallen - Foto: Sauer/Audi

Ingolstadt (DK) Wenn Fahrwerk und Karosserie eines Audi aufeinandertreffen, wird im Ingolstädter Werk „Hochzeit“ gefeiert. So zumindest nennen die Mitarbeiter des Autobauers den entscheidenden Produktionsschritt in der Endmontage, bevor ein Fahrzeug vom Band laufen kann. Täglich 2600-mal ist das der Fall.

Führungen durch das Audi Werk in Ingolstadt sind Abenteuertrips in eine andere, eine technisch bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Welt, in der nichts dem Zufall überlassen bleibt, und die lange nachwirken. Und sie sind außerordentlich beliebt. 100 000 Menschen jährlich wollen dabei sein, wenn vor ihren Augen aus millimeterdünnen Blechen mit gigantischen Stanzwerkzeugen Seitenwände für ein Fahrzeug entstehen oder im Karosseriebau mehr als 800 Roboter ihren präzisen chipgesteuerten Dienst versehen, und so die Kurzheckkarosse eines A 3 Form annimmt. Gefertigt aus 288 Einzelteilen.

„Hightech hoch drei“, heißt die Sechs-Stunden-Marathonführung (am Ende sind es sogar fast sieben), auf die sich jetzt zehn Mitarbeiter eines Schweinfurter Zuliefererbetriebs der Ingolstädter Autoschmiede begeben. Zwar werden sie während ihres Aufenthalts nur einen Bruchteil des fast drei Quadratkilometer großen Geländes im Norden von Ingolstadt erkunden können – die Technische Entwicklung (das kreative Großhirn des Betriebs) bleibt aus Gründen der Geheimhaltung sogar ganz verschlossen. Doch dieser letztlich gar nicht so beschränkte Einblick in das Stanz- und Presswerk, den Karosseriebau, die Lackiererei, die Endmontage und die Abnahme reicht aus, um selbst ganz nüchtern denkende Maschinenbauingenieure an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft zu manövrieren. „Das haut einen richtig um“, sagt ein Teilnehmer. „Beeindruckend“, findet ein anderer. Die Faszination des Presswerks, in dem tonnenschwere Werkzeuge mit dröhnender Wucht Millimeterarbeit an feinsten Blechplatinen verrichten, lässt die einzige Frau in der Runde nicht mehr los: „Das habe ich noch nicht gesehen“, sagt sie. „Die Logistik ist die eigentliche Meisterleistung“, stellt ein weiterer Teilnehmer später fest. Die sei tatsächlich „minutiös“ geplant, erläutert die Audi-Mitarbeiterin Hanna Maraun, die die Gruppe mit viel Souveränität, Sachverstand und Kurzweil durch die Hallen führt. Keine Übertreibung angesichts der Tatsache, dass die Bänder, an denen die Montagen vorgenommen werden, in 88-Sekunden-Schritten getaktet sind. So viel Zeit bleibt den Arbeitern, ihre Aufgaben zu erledigen: Schrauben festziehen, Armaturen fixieren, Bremskraftverstärker und Batterien verbauen. Jeder Handgriff sitzt.

Sollte dennoch einmal etwas vergessen oder in die falsche Box mit Material gegriffen werden, warnt rechtzeitig eine Lichtschranke. Die Monteure gleiten während des Arbeitsgangs auf ergonomischen Sitzen durch die Karosserien. Fast sieht es aus, als würden sich Astronauten schwerelos durch ein Raumschiff bewegen. Kein Heben, kein Bücken, kein Strecken. Nichts, was zusätzliche Zeit und Anstrengung verursachen würde. Jedes Werkzeug, jeder Sitz, jedes Lenkrad liegt griffbereit und in der richtigen Reihenfolge in Boxen bereit. Selbst dann, wenn es erst wenige Stunden zuvor geordert wurde.

Maraun betont mehrmals die Sauberkeit in den Hallen. Ein Paradies für Kehrmaschinen und Reinigungskräfte scheinen die 18 Pressstraßen wahrlich nicht zu sein: Metallspäne, Blechteile oder andere Produktionsrückstände wandern entweder gleich automatisch in die Wiederverwertung oder entstehen erst gar nicht. Und wenn dann doch einmal Öl, das als Gleitmittel zum Rangieren der wuchtigen Stanz- und Presswerkzeuge dient, das Begehen der Produktionsroute zum Eierlauf machen könnte, warnt Maraun rechtzeitig.

Am Anfang ist es nur ein Stück verzinktes Blech – nicht viel größer als ein Bettvorleger – mit zwei eingestanzten Öffnungen, das die Besucher aus dem Fränkischen zu sehen bekommen. Knapp sieben Stunden später steht ein kompletter Audi A 3 vor ihren Augen, der auch sogleich seinen ersten Fahrtest – herunter vom Band und hin zum Verladen – bestehen muss. 2600-mal am Tag wiederholt sich diese Prozedur. Genau so viele A 3, A 4, A 5 und Q 5 werden täglich in Ingolstadt produziert. Zum Vergleich: Audi-Urvater August Horch baute gerade einmal drei Fahrzeuge im Jahr, wie Hanna Maraun schon vor Beginn der Führung mit einem Augenzwinkern feststellt.