Sieben auf einen Streich

19.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Es dauerte vier lange Monate, ehe Mark Spitz endlich zufrieden war. Dann aber war er stolz darauf. Zu den Olympischen Spielen 1972 in München wollte er ihn eigentlich wieder abrasieren, den Schnauzbart, der fortan sein Markenzeichen werden sollte. "Aber als ich merkte, wie sehr die paar Haare auf meiner Oberlippe die Menschen beschäftigte, ließ ich ihn dran", sagte Spitz. In einer Zeit, in der die Profi-Schwimmer jedes Härchen an ihrem Körper entfernten, um so schnell wie möglich zu sein, schwamm Mark Spitz mit ausgeprägtem Oberlippenbart - so schnell wie kein anderer. 1972 in München gewann der US-Amerikaner sieben Goldmedaillen - jede in Weltrekordzeit.

Sogar der sowjetische Schwimm-Trainer erkundigte sich bei dem US-Amerikaner, ob ihn der Bart nicht langsamer werden ließ. "Ich erzählte ihm, dass der Bart meinen Rücken anhob und meinen Körper im Wasser stromlinienförmiger machte - und das machte mich so schnell", erzählte Spitz. "Ein Jahr später trugen alle sowjetischen Schwimmer einen Schnurrbart."

Natürlich war es nicht nur der Schnauzer, der Spitz zum besten Olympioniken der 1970er-Jahre machte. Es waren vielmehr seine unglaubliche Schnelligkeit im Becken, die er sich schon als Kleinkind in den rauen Wellen auf Hawaii angeeignet hatte, und seine unerschütterliche Selbstsicherheit. Spitz wurde zur Ikone und zum Traummann vieler Frauen. Muskelbepackt lief er in seinem knappen "Stars and Stripes"-Höschen am Beckenrand entlang. Sein schwarzes, volles Haar, seine sonnengebräunte Haut und sein athletischer Körper lösten einen Hype aus - vom Schnauzbart ganz zu schweigen. Viele verglichen Spitz mit "Doktor Schiwago" Omar Sharif. Auf die Frage, warum er den Bart denn nicht abrasiere, antwortete er: "Er verhindert, dass Wasser in meinen Mund läuft."

Insgesamt gewann Spitz elf Medaillen: neunmal Gold, einmal Silber, einmal Bronze. Schon bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko City hatte er als 18-Jähriger großspurig sechs Goldmedaillen angekündigt. Am Ende siegte er immerhin mit beiden Freistilstaffeln und holte zwei Einzelmedaillen. Vier Jahre später aber erreichte er seine Ziele - und wurde zum Star. So schnell, wie er emporgekommen war, so schnell trat Spitz jedoch wieder ab: Bereits mit 22 Jahren beendete er seine Karriere, um seine Erfolge zu vermarkten. Spitz war sich seiner Wirkung bewusst und erkannte, was für kommerzielle Möglichkeiten sich daraus ergaben. Er etablierte sich zum Werbestar, saß in TV-Shows, kaufte und verkaufte Immobilien. Spitz verdiente Millionen, während sich andere Sportler zu dieser Zeit noch mit geringen Antritts- und Preisgeldern begnügten. "Das war eine Frage des Timings, des Hypes, der wirtschaftlichen Cleverness und vor allem des Aussehens", sagte Spitz. Nur seine angestrebte Schauspielkarriere missglückte - genau wie der Versuch, mit 41 Jahren bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona zu starten, denn der einst beste Schwimmer der Welt scheiterte an der Qualifikation.

Erst im Jahr 2008 übertraf Michael Phelps die Rekorde seines Landsmannes, die für die Ewigkeit gemacht schienen. Phelps gewann in Peking acht Goldmedaillen. Danach legte er eine mehrmonatige Pause ein. Sein Wettkampf-Comeback gab Phelps im Mai 2009 beim Charlotte UltraSwim. Obwohl nun er der erfolgreichste Sportler der Geschichte war, zollte er seinem Idol Tribut: Er trug einen Schnauzbart.