München
"Sie hatten Schaum vor dem Mund"

Die Landtagsdebatte über die Neonazi-Morde beginnt mit gemeinsamem Gedenken – und wird zur verbalen Rauferei

24.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:07 Uhr

München (DK) Stilles Gedenken und eine wütende Abgeordnete: Die Landtagsdebatte über die jüngsten Mordanschläge von Neonazis gerät zeitweise zur verbalen Rauferei. Die Opposition will der CSU ihre angeblichen Versäumnisse im Kampf gegen Rechts nicht ungeschoren durchgehen lassen.

München (DK) Es ist Zeit zum stillen Gedenken. Zu Beginn der gestrigen Landtagssitzung hält Parlamentspräsidentin Barbara Stamm (CSU) eine Rede. Sie sei „entsetzt und zutiefst beschämt über die Mordserie von Neonazis“, sagt sie. Angesichts des neuen Terrors müssten „wir als Demokraten eng zusammenstehen“. Gemeinschaftlich haben die Abgeordneten sich von ihren Plätzen erhoben. Doch mit den Gemeinsamkeiten ist es kurz darauf vorbei. Die Debatte über die jüngsten Mordanschläge gerät zeitweise zur verbalen Rauferei.

Die Aussprache beginnt mit einer Erklärung von Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Der Freistaat gehe „seit Jahren sehr konsequent gegen den Rechtsextremismus vor“, betont er. Er erinnert auch an das geplante Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum in München, das 2003 vom Verfassungsschutz vereitelt wurde. Dann kommt die stellvertretende Fraktionschefin der SPD, Natascha Kohnen. „Fehleinschätzungen“ wirft sie der Koalition vor. Noch 2009 hätten CSU und FDP die Forderung abgelehnt, im Haushalt mehr Geld für den Kampf gegen Rechtsextremismus vorzusehen. Und das, obwohl kurz zuvor der damalige Passauer Polizeichef Alois Mannichl mutmaßlich von Neonazis niedergestochen wurde. Schon da grummelt es in der CSU-Fraktion.

Doch Kohnen ist erst am Anfang. Die CSU sei „auf dem rechten Auge sehschwach oder blind“, ruft sie. Die Zwischenrufe werden lauter. „Bedienen Sie nicht Ressentiments“, fährt die Abgeordnete fort und erinnert an einen Satz von CSU-Chef Horst Seehofer am Aschermittwoch. Der hatte angekündigt „bis zur letzten Patrone“ gegen Zuwanderung in die Sozialsysteme kämpfen zu wollen. „Rechtsextremismus entwickelt sich auch in der Sprache“, ruft Kohnen. Da fährt Ex-CSU-Chef Erwin Huber aus der Haut. „Geh doch nach Hause“, ruft er und winkt ab. So zumindest meinen es Anwesende gehört zu haben. Auf den CSU-Sitzen bleibt kaum noch jemand ruhig. „So ein Blödsinn“, empört sich Ex-Justizminister Manfred Weiß.

Kurz darauf spricht der stellvertretende CSU-Fraktionschef, Karl Freller, gibt sich betont ruhig. Kohnens Vortrag habe im „wehgetan“, sagt er. „Sie hatten Schaum vor dem Mund. Das tut dieser Debatte nicht gut.“ Er ruft zum gemeinsamen Kampf auf. Freller offenbart auch noch, dass er tags zuvor eine Nachricht der Behörden bekommen habe. Sein Name stehe auch auf einer Liste, die bei den Neonazis gefunden wurde. Zuvor waren dort schon die Namen der Münchner Bundestagsabgeordneten Jerzey Montag (Grüne) und Hans-Peter Uhl (CSU) gefunden worden. Warum sie notiert wurden, ist unklar. Freller ist Chef einer Stiftung für Gedenkstätten, darunter auch die NS-Mahnmale in Dachau und Flossenbürg. Vielleicht hängt es damit zusammen.

Doch auch der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr kritisiert die bayerischen Behörden. Viel zu häufig würden Verbrechen mit eindeutig rechtsradikalem Hintergrund nicht als solche eingeordnet, meint er. Und Dürr nennt Beispiele: Eine Wand wird mit ausländerfeindlichen Parolen beschmiert, ein Mann wird von seinem Nachbarn ermordet, nachdem er sich wegen lauter rechtsradikaler Musik beschwert hat – bei solchen Taten hätten die Behörden keinen rechtsradikalen Hintergrund gesehen, sagt Dürr. Auch der Grüne zieht einen klaren Schluss: „Gegen Rechtsextremismus muss in Bayern noch viel nachgebessert werden.“