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29.06.2021 | Stand 08.07.2021, 3:33 Uhr
"Bed-In For Peace" nannten John Lennon und Yoko Ono ihre Performance 1969. Der Song "Imagine" wurde 1971 erstmals als Single veröffentlicht. Das Stück beschreibt die Vision einer freien Gesellschaft und gilt als Hymne der Friedensbewegung. −Foto: dpa-Archiv

Vor fünf Jahrzehnten hat John Lennon mit "Imagine" die Hymne der Friedensbewegung komponiert und auf dem gleichnamigen Album veröffentlicht. Es war das zweite nach seiner die Musikwelt traumatisierenden Trennung von den Beatles. Der simpel anmutende Text hinterlässt bis heute deutlich sichtbare Spuren, sogar der Flughafen in Liverpool trägt eine Textzeile als Motto.

Diese Bilder sind ikonisch, sogar wenn man damals selbst noch gar nicht gelebt hat: John Lennon, ganz in Weiß mit Nickelbrille und langem Haar, hager und asketisch wie ein Jesus des 20. Jahrhunderts, stets an der Seite jener rätselhaften Frau aus Japan, die das Ende der Beatles auf dem Gewissen hatte. Sie hat ihn nach Amerika gelockt, wo ihn dann ein durchgeknallter Attentäter wegen einer Songzeile umbringen würde: "Imagine, there's no heaven" sowie ein Interview im Jahr 1966, bei welchem Lennon befand, die Beatles seien derzeit bekannter als Jesus, waren für einen geisteskranken Attentäter am 8. Dezember1980 Grund genug, fünfmal auf den Musiker zu schießen.

Doch wie so oft im Leben ist nichts völlig schwarz und nichts rein weiß. John Lennon war nicht nur auf der sanften Suche nach sich - er war auch, besonders unter Alkohol, ein aggressiver Mann, dessen erste Frau berichtet, von ihm geschlagen worden zu sein. Zusammen mit Yoko Ono, ohne die sich die Beatles mutmaßlich auch aufgelöst hätten, schaltete er wegweisenden Kampagnen für den Weltfrieden - aber haben die Diktatoren und Militaristen der Welt damals nicht über ihre naiven Plakate und das "Kuscheln für den Frieden" gelacht? War der ganze Medienrummel womöglich ein Karrierekniff des Paares, das sogar die eigenen Flitterwochen mit der Presse am Bettrand verbrachte und damit an einer Solo-Karriere bastelte?

Dazu sagt der in München lebende Nicola Bardola, Biograf von John Lennon und Yoko Ono: "Ich halte das Engagement für sehr authentisch. Beide stilisieren natürlich ihre Botschaft, um sie zu transportieren, aber sie ist enorm ausgeprägt. Sie haben einiges von ihrem Vermögen eingesetzt für Friedensaktionen, Bäume gepflanzt, Ballons steigen lassen, Plakataktionen beauftragt, Gedichte, Ausstellungen, die beiden berühmten Bed-Ins. Sie haben ihre Talente bestmöglich und erfolgreich für den Frieden eingesetzt, mitten im Vietnamkrieg. Man muss aber natürlich die ganze Persönlichkeit im Blick behalten. Lennon hat immer mit zwei Temperamenten gekämpft. In den ersten zwei Dritteln seines Lebens dominiert die Aggression, mit Yoko Ono entdeckt er die andere Möglichkeit. Er hat sehr an sich gearbeitet!" Denn wenn man auch seinerzeit die Beatles gern im Gegensatz zu den Rolling Stones als die Braven, Angepassten gesehen hat: Lennon und McCartney sogen die Strömungen ihrer Zeit auf. Sie trieben einander zu neuen Ufern, experimentierten mit fernöstlichen Einflüssen oder Vorläufern der atmosphärischen Ambient Music, arbeiteten im Studio mit Geräuschen oder Schreien und kombinierten alles mit ihrem persönlichen musikalischen Background. "Ihre Neugier, Offenheit, hohe Intelligenz und die Fähigkeit, zu transformieren zeichnet sie aus", fasst der Biograf zusammen.

Die Entstehungsgeschichte des Liedes führt in jenes Haus bei London, das auch auf dem Music-Clip zu sehen ist, das Privatanwesen, in dem Lennon und Ono damals wohnten. Das Studio darin war eng, aber hochprofessionell eingerichtet. Die Band, welche den neuen Song aufnahm, bestand aus guten Musikerfreunden Johns: Nicky Hopkins, Klaus Voormann und Alan White. "Das Stück hatte eine lange Wirkungsgeschichte", resümiert Bardola, "Sofort und weltweit in den Top 10 der Charts erlebte es später mehrere Renaissancen, wurde unendlich oft gecovert. In der Lebensphase der ,Best' oder ,Silver Ager' hält man ja Rückblick auf die Jugend und nutzt vielleicht die Chance, etwas im Licht des seither Erlebten neu zu betrachten. Ich finde: Die Lieder altern sehr gut. Sie bewirken immer noch starke Reaktionen, auch bei nachfolgenden Generationen." In der Pandemie haben denn auch Prominente wie Natalie Portman, Zoe Kravitz, oder Jimmy Fallon den Klassiker in einer gemeinsamen, wenngleich umstrittenen, Quarantäne-Version gesungen.

Yoko Ono, die vor fünf Jahrzehnten Zeugin wurde, wie Lennon jene 22 schlichten Zeilen über den Glauben an eine bessere Welt fand, ist auf dem Original-Musikvideo zu sehen, als ätherische Kindfrau, die im abgedunkelten Familiensitz die Fensterläden aufstößt und ihren Mann mit weißem Licht flutet. Als Verwalterin seines Erbes hat sie nicht nur den gemeinsamen Sohn großgezogen (und den aus erster Ehe wohl ein wenig zu kurz gehalten), sie hat auch fortlaufend verschiedenes Material aus dem Nachlass zusammengestellt und veröffentlicht, Erinnerungsstücke versteigert, einen weltweiten Nachlass-Konzern verwaltet und geführt. Beharrlich auch im Kleinen hat sie beispielsweise in Polen den Verkauf einer John-Lemon-Limonade verhindert. Ihr Agieren als oft umstrittene, immer kämpferische Witwe eines jung verstorbenen Idols bot fortlaufend Stoff für die Gazetten.

Das Lied, dessen 50. Geburtstag sich dieses Jahr jährt, hält sie hoch: "Er hat sicher nicht gedacht: Hey, das wird eine Hymne!'", soll sie gesagt haben. "Imagine war einfach das, woran John glaubte - dass wir alle ein Land, eine Welt, ein Volk sind. Den Gedanken wollte er mitteilen." Sicher ist sie auch ein bisschen stolz darauf, ihn mit einigen eigenen Zeilen dazu inspiriert zu haben. Lennon hat in einem Interview gesagt, wenn sie nicht gerade seine Frau gewesen wäre, hätte er die gemeinsame Autorenschaft des Songs öffentlich gemacht. Den Impuls dazu entnahm er nämlich einem Gedicht von Yoko Ono, das 1964 in ihrem Buch "Grapefruit" erschienen war. "Imagine the clouds dripping, dig a hole in your garden to put them in", empfahl sie darin: "Stellen Sie sich tropfende Wolken vor und graben Sie ein Loch in ihren Garten, um sie hineinzustecken." Vor zwei Jahren hat der Verlag übrigens doch noch ihren Namen als Co-Autorin dem Lennons hinzugefügt.

DK