Pfaffenhofen
Sexuelle Belästigung im Aufwachraum?

Krankenpfleger soll frisch Operierte unsittlich berührt und ihr Sex-Angebot gemacht haben

05.10.2020 | Stand 02.12.2020, 10:25 Uhr
Eine goldfarbene Justitia-Figur steht vor Aktenbergen, die sich auf einem Tisch stapeln. −Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

Pfaffenhofen - Auftakt eines spektakulären Prozesses vor dem Schöffengericht, der auf drei Tage angesetzt ist: Einem 59-jährigen Krankenpfleger an der Ilmtalklinik wirft die Staatsanwaltschaft vor, eine 32-Jährige kurz nach der Operation im Aufwachraum sexuell belästigt zu haben: Er soll ihre Brüste berührt, die Innenseite der Beine gestreichelt und seinen Kopf zwischen ihre Oberschenkel gelegt haben.

Der Angeklagte streitet das ab, er räumt vor Gericht lediglich ein Sex-Angebot ein. Der Vorfall liegt schon vier Jahre zurück: Vanessa P. (alle Namen geändert) war im September 2016 wegen einer Brustvergrößerung in die Pfaffenhofener Ilmtalkinik gegangen. Nach dem einstündigen Eingriff wurde sie zur Beobachtung in den Aufwachraum geschoben, wie üblich nur mit dem OP-Hemd, einer Netz-Unterhose und einem Stütz-BH bekleidet.

An diesem Vormittag hatte der Krankenpfleger Michael S. Dienst. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Vitalparameter der Patienten im Auge zu behalten und zu schauen, ob die Wunden möglicherweise durch die Verbände bluten. Der 59-Jährige, der erst seit vier Wochen an der Klinik arbeitete und von einer Zeitarbeitsfirma entsandt worden war, ließ es dabei, so die Anklage, nicht bewenden: Er soll sie nicht nur unsittlich berührt, sondern ihr auch ein eindeutiges Angebot gemacht haben: Sie solle sich bei ihm melden, wenn sie mal "so richtig guten Sex" haben wolle. Aber man könne ja auch erst einmal essen gehen. "Deine Titten waren schon vorher geil", soll er gesagt haben, "jetzt sind sie noch geiler. Ich würde sie gern sehen, wenn sie abgeheilt sind. "

Michael S. , der noch am selben Tag gefeuert wurde, sitzt konsterniert auf der Anklagebank. Absolut entsetzt sei er gewesen, als er in der Anklage gelesen habe, was ihm da vorgeworfen wird. Die "verbale Entgleisung", das Sex-Angebot, gibt er zu, das bedauere er sehr, "ich weiß nicht, was mich da geritten hat". Den Satz führt er auf ein Schmerzmittel zurück, das euphorisiere und dass er wegen seines Herzinfarkts nehme. "Aber alles andere hat sich nicht zugetragen, das ist nicht meine Wortwahl, das bin ich nicht. "

Vielmehr sei es so gewesen: Vanessa P. habe, als sie kurz aufwachte, über starke Schmerzen geklagt. Deshalb habe er in den Stütz-BH geschaut und den BH-Verschluss kontrolliert. "Ich habe nur meinen Job gemacht", verteidigt sich Michael S. Wiederholt habe ihn Vanessa P. gefragt, wie denn ihre Brüste jetzt aussehen. Er habe ihr erwidert, dass gleich ein Arzt komme und sich das ansieht. "Um ihr Mut zu machen, habe ich ihr gesagt, dass sie gut aussehen. " Die Vorwürfe seien völlig absurd: Im Aufwachraum sei ein ständiges Kommen und Gehen, Patienten werden herein- und herausgefahren, Ärzte schauen nach den frisch Operierten, und dann lägen ja noch andere Patienten im Aufwachraum, im Abstand von eineinhalb Metern.

Noch am selben Tag hat sich Michael S. bei der 32-Jährigen schriftlich für seine "unprofessionelle Distanzlosigkeit" entschuldigt und sich bedankt: "Es war richtig, dass Sie das nicht verschwiegen haben. " Das habe ihm die Augen geöffnet, er werde sein Verhalten zukünftig ändern. Ein pauschales Schuldeingeständnis? "Ich habe mich für die verbale Entgleisung entschuldigt, alles andere", wiederholt sich der Angeklagte, "ist nicht passiert. "

Vanessa P. , klein, zierlich, eine gelernte Arzthelferin, sitzt noch nicht ganz auf dem Zeugenstuhl, als ihr schon die Tränen herunterlaufen. Warum sie sich keine professionelle Hilfe geholt habe, fragt Amtsrichterin Katharina Laudien, wenn sie der Vorfall auch nach vier Jahren noch mitnimmt. "Ich habe das professionell verdrängt", sagt sie, jetzt durch die Vorladung sei alles wieder hochgekommen. "Was kaputt ist, ist kaputt", so die 32-Jährige, "das kann man nicht mehr flicken. " Was bei ihr zerbrochen ist, sei das Vertrauen und ihr Verhältnis zu Männern. Sie schlafe schlecht, habe Angst, allein aus dem Haus zu gehen, weil sie befürchte, dass ihr Michael S. auflauert. "Ich weiß ja nicht, was er noch alles angestellt hat, als ich weggedöst bin. Ich will von ihm nichts, ich will nur, dass er anderen Frauen nicht auch noch wehtut. "

Das Gericht hat den Vater von Vanessa P. als Zeugen vorgeladen. Seine Tochter hat ihn vom Krankenhaus angerufen und ihm den Vorfall geschildert.

Auch der Freund von Vanessa P. bestätigt deren Aussagen. Erst vor drei Tagen, gibt er freimütig zu, habe man sich getroffen, um sich im Hinblick auf die anstehende Verhandlung abzusprechen und festzustellen, an was sich jeder noch erinnern könne. "Und da ist das mit dem Streicheln am Bein noch dazugekommen. " Für den Verteidiger eine Steilvorlage, denn Zeugenabsprachen sind als Beweis höchst fragwürdig. Er klopft ab, ob eine Verfahrenseinstellung möglich ist, scheitert aber an der Staatsanwältin. Der Prozess wird fortgesetzt.

PK