Ingolstadt
Sehnsucht nach Freiheit

30.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:49 Uhr

Wunderbar komisch: Die künstliche Nachtigall funktioniert zunächst so perfekt, dass der ganze Hofstaat verblüfft ist. - Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte gastierte das Ensemble der National Academy of Chinese Theatre Arts im Großen Haus des Theaters Ingolstadt und brachte die bereits erfolgreich aufgeführte Pekingoper "Die Nachtigall" des Dresdner Komponisten Karsten Gundermann auf die Bühne.

Textliche Grundlage ist Christian Andersens bekannter Märchenstoff, und der ist – eingestreut sind einige zeitgeschichtlich relevante Persiflagen – auf ein einfaches Grundgerüst reduziert. Als Quintessenz bleibt der globale Wunsch nach Freiheit gepaart mit rücksichtsvoller Einsicht. Übertragbar ist er auf alle Charaktere im Stück und schon deshalb ein kultureller Aufbruch, weil die üblichen chinesischen Operninhalte Liebe, Freundschaft, Verehrung oder Ehrfurcht zum Thema haben. Nun aber schwingt sich die zauberhaft verkörperte Nachtigall dazu auf, dem Kaiser den ethischen Begriff der Freiheit zu lehren, und Majestät zeigen sich ob der nahen Todesgeister schnell einsichtig.


 
Gundermanns Pekingoper – als eigenständige Kunstform geprägt von spärlichen Bühnenbildern mit einzelnen, symbolbehafteten Gegenständen – trägt sich in weiten Teilen durch die überaus witzige, überzeichnete Inszenierung (Kui Sheng, Li Zigui) der beiden kaiserlichen Beamten, und vermittelt einem durchaus den Eindruck, dass diesem Berufsstand auch im fernen China der Hautgout anhaftet, in ihren Alltagsgeschäften nicht allzu viel zu taugen. Die beiden traditionell geschminkten und kostümierten Darsteller setzten ihre Rollen schauspielerisch hervorragend um und verhalfen mit einer "verwestlichten" Gestik auch der imaginären Reise zu Pferd auf der Suche nach der Nachtigall zu deutlichen Konturen. Die anderen Figuren blieben in ihrem bewusst angelegten, eindimensionalen Rollentypus – auch das ein chinesisches Stilmittel – und verkörperten diesen mit unglaublicher Präzision, sowohl stimmlich als auch darstellerisch.

Besonders erwähnenswert der Auftritt der künstlichen Nachtigall, die es neben ihrer perfekten, wunderbar komischen motorischen Nachahmung des aufgezogenen Spielgerätes tatsächlich wagt, auf des Kaisers Thron herumzutanzen, bevor sie sich, aller Schläge zum Trotz, endgültig ins Totenreich der unnützen Kunstgeschenke verabschiedet.

Differenziert betonter Sprech- und Singrhythmus im Verbund mit festgeschriebenen Hand-, Arm- und Ärmelgesten, und die hoch stilisierten Hüft-, Bein- und Fußbewegungen (Choreografie: Lui Fusheng, Wang Xiaorong) werden für ein europäisches Publikum wahrscheinlich ein Geheimnis bleiben – dennoch sind sie im Zusammenklang mit Gundermanns Musik jeden Augenblick der Aufmerksamkeit wert.

Der Komponist spielt gekonnt mit dem chinesischen Fünftonsystem, das außer durch Abschmieren von Tönen oder Naturgeräuschen nur wenig gefühlsintensives Musizieren zulässt. In den Gesängen reiht Gundermann öfter größere Intervallsprünge in raschen Tempi aneinander, was den Eindruck von mehr Vielseitigkeit und Lebendigkeit erweckt, und was auch für die musikalische Freiheit der Zwischenspiele gilt – am Ende beinhaltet sogar der befreite Nachtigallengesang vorsichtige Halbtöne.

Insgesamt kommt der Oper die fein ausgearbeitete Balance zwischen Sprechtheater, Akrobatik, Tanz sowie musikunterlegten Gesängen und Szenen zugute, und das mit chinesischen Originalinstrumenten besetzte Orchester (musikalische Leitung: Geng Lianjun, Karsten Gundermann) hat durch seinen festgelegten Platz seitlich auf der Bühne die Möglichkeit, Tänzer und Sänger akkurat angepasst an deren Bewegungsabläufe zu begleiten. So entsteht außergewöhnliche Harmonie zwischen allen künstlerischen Elementen, was von einem begeisterten Publikum mit viel Applaus gewürdigt wurde.