Ingolstadt
Sehnsucht nach der Ferne

Mit dem Auto unterwegs: Neue Sonderausstellung im Museum Mobile über die Geschichte des Reisens

07.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:20 Uhr
  −Foto: Fotos: Schmeizl, Audi AG

Ingolstadt (DK) Otto Julius Bierbaum - bekannt unter den Pseudonymen Martin Möbius und Simplicissimus - wusste, wo es sich aushalten lässt.

Im Jahr 1902 reiste der Journalist als erster Deutscher mit seiner Frau Gemma mit dem Auto nach Italien. Sie fuhren in einem offenen, roten Adler-Phaeton mit acht PS und nur einem mickrigen Zylinder über Prag, Wien und München bis nach Süditalien. "Fahren" ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, tuckern trifft es eher: Dreieinhalb Monate waren sie unterwegs. Höchstgeschwindigkeit: 40 Stundenkilometer. 1903 bringt der Journalist und Schriftsteller seine Autorundfahrt zu Papier und seine Briefe füllen in der Erstausgabe von "Eine empfindsame Reise im Automobil" 296 Seiten. Im letzten Brief lautet sein Resümee: "Das Reisen im Laufwagen ist das ideale Reisen. " Laufwagen - so nannte Bierbaum liebevoll sein Gefährt. Der Journalist war ein Reise-Pionier. Nie zuvor hatte ein Deutscher im Auto die Alpen nach Italien überquert.

Bis ihm das andere gleichtaten und Bella Italia als Urlaubsland mit dem Pkw für sich entdeckten, dauerte es noch einige Jahrzehnte, wie Stefan Felber erklärt. Er ist Kurator der Sonderausstellung "Der Sonne hinterher! Die Geschichte des Urlaubs bei Audi", die gestern Abend im Museum Mobile eröffnet wurde.

 

 


Erst in den 60er-Jahren, als die Einkommen und die Anzahl der Urlaubstage stiegen, kämpften sich immer mehr Deutsche mit dem Auto über die Alpen nach Italien, um in Rimini Pizza oder Spaghetti zu essen, Lambrusco zu trinken oder im Mittelmeer zu planschen. Zum Beispiel mit einem NSU Prinz II, dessen dunkelroter Lack im Ausstellungsraum des Museums glänzt. Jedes der Exponate steht in so etwas wie einer Erinnerungsschachtel. Die Autos umgibt ein großer Holzrahmen, die Tiefenwirkung erzeugt das Gefühl, in eine offene Kiste zu blicken - eine Souvenirbox mit den schönsten Urlaubsmomenten.

Die vielseitige Schau zeigt neben Exponaten aus den Anfangsjahren des Campings auch Autos, mit denen Menschen schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Welt erkundeten, zum Beispiel ein Vorkriegscampinggespann mit einer DKW F5 Meisterklasse Cabrio-Limousine aus dem Jahr 1935.

 

 



Ein besonderes Ausstellungsstück ist ein DKW F800/3 Westfalia-Wohnmobil aus dem Jahr 1956. 10000 bis 11000 Mark kostete so ein Fahrzeug - eine Summe, die zu dieser Zeit nur die wenigsten hinblättern konnten. Gaskocher, Toilette, Holzinterieur, Vorhänge und orangefarbene Oberlichter: Wer so ein Wohnmobil besaß, der schwelgte im Luxus, für damalige Verhältnisse zumindest. In den 50er-Jahren verreiste die Mehrzahl der Bürger innerhalb Deutschlands. Packte einen doch einmal die Sehnsucht nach dem Ausland, fuhren die Fernwehgeplagten nach Österreich. Um Frankreich machten die meisten zu dieser Zeit noch einen Bogen - zu frisch waren die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den früheren "Erzfeind".

Reisen - das führt die Ausstellung sehr deutlich vor Augen - war lange Zeit aber auch ein Privileg, das vielen verwehrt wurde. Von der großen Reisefreiheit konnten die Menschen, die in der DDR lebten, lange Zeit nur träumen. Urlaub war dort anders als im Westen ein vom Staat geregelter und kontrollierter Vorgang. Wenn die Ostdeutschen reisten, dann innerhalb der DDR, oder in Länder, die zur UdSSR gehörten. Wer es sich leisten konnte und wer genug Geduld mitbrachte - die Wartezeit betrug mehrere Jahre - kaufte sich einen Trabant mit Dachzelt, der ebenfalls im Audi-Museum steht. Ein solches Fahrzeug kostete rund 12000 Mark, das Dachzelt 700 Mark.



Neben den besonderen Fahrzeugen zeigt die Ausstellung auch alte Bademode, nostalgische Souvenirs, Postkarten, Reiseführer und Koffer. Und: Es gibt ein Ofenrohr. Auch heute ist es nicht jedem vergönnt Jahr für Jahr in den Urlaub zu fahren - die schauen dann mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Für alle Balkonien-Urlauber gibt es deshalb in der Ausstellung ein Ofenrohr, durch das er eine Vielzahl an Urlaubsmotiven genießen kann. Und das ganz ohne stressige Fahrt in die Ferne.
 

Xenia Schmeizl