Pfaffenhofen
Sechs Wochen Wartezeit auf einen Termin

Therapeuten schlagen Alarm

19.02.2020 | Stand 25.10.2023, 10:28 Uhr
Krisentreffen der Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten im Trainingsraum von Joachim Sander in Pfaffenhofen. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen - Das Problem kennt jeder, der schon einmal von seinem Hausarzt ein Rezept für Physiotherapie bekommen hat: Egal, wo man anruft - den frühesten Termin bekommt man in sechs bis acht Wochen. Damit sich das ändert, haben sich jetzt Therapeuten aus der Region getroffen, um ihre Forderungen an den Mann zu bringen: an den CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer, Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages. Denn tatsächlich könnte die Politik das Problem lösen - wenn sie denn wollte!

 

Im Trainingsraum des Pfaffenhofener Physiotherapeuten Joachim Sander, zwischen Laufband und Beinpresse, sind sich die Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten einig: Es muss etwas geschehen, ehe die Patientenversorgung zusammenbricht. Das klingt dramatisch, aber es ist Realität: Die Bevölkerung, erklärt die Runde, werde stressbedingt immer kränker. Gleichzeitig aber geht dem Berufsstand der "Heilmittelerbringer", so der Oberbegriff der drei Therapeuten-Disziplinen, der Nachwuchs aus.

Sander berichtet, schon seit Jahren einen Therapeuten für seine Physio-Praxis zu suchen - erfolglos. Dieselbe Erfahrung macht die Ergotherapeutin Sonja Orzessek aus Hohenwart: Längst vorbei die Zeiten, wo sich Interessenten bei ihr um einen Job bewerben. Die Gespräche mit einer Interessentin, die sie unlängst selbst angesprochen hatte, endeten bei der Frage, ob Hohenwart einen S-Bahn-Anschluss hat. Julia Urban-Maier, Logopädin aus Gaimersheim: "Wenn ich krank werde, gibt's keinen Ersatz."

Das größte Problem allerdings ist: Der Beruf ist für junge Leute unattraktiv, weiß die Logopädin Angelika Winkelmayr, Fachschaftsleiterin am Berufsbildungszentrum in Ingolstadt, eines der größten dieser Art in Bayern. Mechatroniker bei einem großen Automobilkonzern oder ein Medienberuf erscheint vielen jungen Leuten heute interessanter. "Vor 30 Jahren", so die Therapeutin "haben sich auf die 16 Ausbildungsplätze für Logopädie 1500 Interessenten angemeldet, jetzt sind es 120." Klingt viel, ist es aber nicht. Abgezogen werden müssten Schüler, die ungeeignet sind, außerdem haben sich viele parallel auch anderswo angemeldet. Und ob am Schluss der Ausbildung nach drei Jahren noch alle an Bord sind, ist auch nicht sicher.

Ganz sicher aber ist, dass fast 60 Prozent aller jungen Therapeuten nach etwa drei Jahren hinschmeißen. Der Berufsstand der Physiotherapeuten steht, was die körperliche und psychische Belastung angeht, an neunter Stelle aller Berufe. Das ist der eine Grund. Der gewichtigere: Bei der Bezahlung steht er an 45. Stelle im Einkommens-Ranking. Das Bruttogehalt liegt bei durchschnittlich 2600 Euro. Kein Wunder, dass die älteste Physiotherapeuten-Schule in Nordrhein-Westfalen, weiß Winkelmayr, mangels Nachfrage geschlossen hat.

Was die jungen Therapeuten auch schnell merken: "Gemessen an der Verantwortung, die wir tragen", sagt der Reichertshofener Physiotherapeut Andreas Voltz, "ist die Wertschätzung zu gering." Nicht von den Patienten, wohl aber von der Politik. Denn die entscheidet mit, was Therapeuten für ihre Arbeit bekommen. Im "Gemeinsamen Bundesausschuss" (G-BA) beschließen die Ärztevereinigungen, die Krankenhaus-Träger und die Kassen, was die 73 Millionen gesetzlich Versicherten beanspruchen können und wie Ärzte und Therapeuten entlohnt werden. Letztere allerdings sitzen am Katzentisch. "Wir haben ein Anhörungs-, aber kein Stimmrecht", sagt Michael Fiedler, Ergotherapeut aus Greding und Vorstandsmitglied der Therapeuten-Interessensgemeinschaft (TIG).

Die Konsequenz: Ein Physiotherapeut bekommt für eine Behandlungseinheit von 15 Minuten weniger als 20 Euro. In diesen 15 Minuten allerdings ist die Zeit fürs Umkleiden des Patienten schon inbegriffen. Wie sinnvoll dann noch ein 13-minütiges Behandlungshäppchen ist, bleibt dahingestellt. Finanziell mit abgegolten sind auch die Schreibarbeiten: Rezepte müssen auf Sinnhaftigkeit überprüft, die Behandlung muss dokumentiert, die Rechnungen für die Kassen geschrieben werden. Damit geht dann meist das Wochenende drauf. Sander: "Ich arbeite oft 80 Stunden die Woche, auf den Stundenlohn gerechnet verdienen meine Angestellten mehr als ich."

Hinzu kommt: Fortbildungen und Zusatz-Qualifikationen zahlen Therapeuten aus eigener Tasche. Auf ihr Honorar hat das keinen Einfluss. "Wir werden abgespeist", schimpft Nadine Franke-Strauß, Physiotherapeutin aus Karlshuld und Regionalleiterin des Berufsverbands ZVK. "Die Arbeitsbedingungen werden schlechter, wir haben weniger Zeit für die Patienten."

"Vielleicht", meint Andreas Voltz, "jammern wir ja zu wenig." Denn im Gegensatz zu Hausärzten, die gut organisiert sind und ähnliche Probleme haben, scheint das Dilemma der Therapeuten noch längst nicht bei den politischen Entscheidern angekommen zu sein. Vielleicht müsse ja auch von den Patienten mehr Druck gemacht werden. Manche aus der Runde empfehlen den Hilfesuchenden, die Kasse anzurufen. Die kann zwar auch keinen Therapeuten aus dem Hut zaubern, aber zumindest spürt sie den Druck der Versicherten. Ob's nutzt, ist fraglich. Und nur nebenbei: Aus eigener Tasche zahlen geht nicht. Ohne ärztliche Verordnung dürfen Therapeuten aus rechtlichen Gründen nicht behandeln.

Zwischen den acht Therapeuten im Trainingsraum sitzt die 16-jährige Pfaffenhofener Realschülerin Meredith Klose. Sie freut sich auf ein Schnupperpraktikum bei Sander. Eigentlich hatte sie sich für Betriebswirtschaftslehre interessiert, aber dann festgestellt: "Mein Leben lang mit Papier umzugehen, das liegt mir nicht. Ich arbeite gern mit Menschen, das ist abwechslungsreicher." Damit ihr die Lust nicht vergeht, auch deshalb haben die Therapeuten Irlstorfer für den 16. März eingeladen.

 

Albert Herchenbach