Cuiaba
"Schwerer Rückschlag" gegen Lepra

Der Eichstätter Manfred Göbel berichtet über die Corona-Situation - Brasilienhilfe unterstützt Menschen

03.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:43 Uhr
  −Foto: Göbel

Cuiaba/Eichstätt/Hitzhofen - "Sehr schlimm, sehr besorgniserregend", nennt der gebürtige Eichstätter Manfred Göbel die Corona-Situation in Brasilien.

 

Dort engagiert er sich seit Jahrzehnten für die Leprahilfe, die nun durch das Virus einen "schweren Rückschlag" erleidet. Dennoch geht die Arbeit in den Projekten weiter, so gut es geht: Es werden Nahrungsmittel, Gesichtsmasken und Alkohol für die Handdesinfektion in den Armenvierteln verteilt.

Schon zuvor habe Brasiliens Gesundheitsdienst nicht gut funktioniert, berichtet Göbel, nun sei die Lage außer Kontrolle, auch dort, wo der 66-Jährige lebt, in der Stadt Cuiaba im Bundesstaat Mato Grosso. Im Moment warten 49 Menschen auf einen Platz in der Intensivstation, dort sind aber keine Betten frei. Nicht das einzige Problem - "es fehlt Sauerstoff, ebenso wie Sedativum", sagt der ehemalige Entwicklungshelfer, der mit einer Krankenschwester in Kontakt steht. Letzteres etwa wird aber dringend benötigt, wenn Patienten intubiert werden müssen. Das hat Folgen: 59656 Tote gibt es in Brasilien (1,4 Millionen Infizierte), im Bundesstaat Mato Grosso haben sich 15636 Menschen angesteckt, 593 sind dem Virus erlegen (Stand 1. Juli). Göbel schätzt, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist, denn es werde sehr wenig getestet.

 

Andere schwerwiegende Krankheiten wie Lepra oder Tuberkulose werden angesichts der Pandemie vernachlässigt. Am vergangenen Dienstag hat Göbel aktuelle Daten für Mato Grosso vom Gesundheitsministerium bekommen. 2019 wurden von Januar bis Juni 2304 Leprafälle registriert. Im selben Zeitraum 2020 waren es nur 1279 - die Hälfte weniger. "Das heißt, dass viele an Lepra Erkrankte weder diagnostiziert noch behandelt werden. Damit ist die Ansteckungsgefahr erhöht", erklärt Göbel, ähnlich sei das Ganze bei der Tuberkulose.

Normalerweise würde der 66-Jährige nun reisen, Vorträge halten und versuchen, das Gesundheitspersonal weiter für die Lepra zu sensibilisieren. "Im südlichen Teil von Mato Grosso haben sich 17 Städte zusammengeschlossen", es sollte ein Kleinbus durch die Orte touren und Aufklärung über die Krankheit betreiben. Göbel war als Berater vorgesehen. "Das ruht alles zur Zeit", bedauert er und betont, dass es gerade für die Armen nicht einfach sei, sich an Quarantäne-Regeln zu halten. Straßenverkäufer, Tagelöhner - wer nicht arbeitet, habe schnell überhaupt kein Einkommen mehr. Nun habe die Regierung Sozialhilfe - etwa 100 Euro im Monat - für die Ärmsten bereitgestellt, gerade werde diskutiert, ob diese verlängert werde. In den Elendsvierteln "leben die Menschen sehr eng zusammen, wie sollen sie Abstand halten", fügt Göbel hinzu.

 

Im Moment sei wieder alles geschlossen, erklärt Göbel, bis auf Supermärkte, Bäcker, Metzger und Apotheken. Generell sei Brasilien, was die Maßnahmen angehe, ein Flickenteppich. Denn Ausgangssperren, so der Präsident Jair Bolsonaro, seien Sache der Bundesstaaten, die wiederum die Entscheidung an die Kommunen delegierten.

Zumindest ansatzweise konnte die Arbeit in einigen Projekten aufrechterhalten werden. Im Kinderprojekt Acamis verteilte man Nahrungsmittel, Masken und Alkohol zur Desinfektion. Göbel hofft, dass die Kinderprojekte bald wieder anlaufen können. Denn dort erhalten Mädchen und Buben Verpflegung und Nachhilfe.

 

Währenddessen versucht die Lepraselbsthilfegruppe, sich weiterhin durch Stricken, Häkeln und Sticken ein Einkommen zu sichern. Trotz Corona würden Mittel und Wege gefunden, die Ware zu verkaufen, erzählt Göbel. Für Nachschub - egal ob Lebensmittel oder Nähmaterialien - wird "schnell und unkompliziert" gesorgt. "Sie schicken mir einfach Listen zu und ich sage dann, ok, das zahlen wir. " Göbel wiederum gibt diese Aufforderung an den Koblenzer Brasilienverein "KoBra" weiter, der die eingegangenen Gelder verwaltet. Dadurch spare man sich eine eigene Verwaltung, erklärt der 66-Jährige, und so lande jeder Euro direkt bei den Hilfsbedürftigen.

Beispielsweise in der Schusterwerkstatt für Leprakranke, die glücklicherweise geöffnet ist. Sofern sich die Leute trauen, diese aufzusuchen, erhalten sie spezielle Einlagen, die ihnen helfen, den Fuß abzurollen. Vielleicht erhalten sie dort auch den Tipp, nicht auf die "Covid-19-Kits" zu vertrauen, die etwa die Stadt Cuiaba verteilt. Die professionell aussehenden Pakete sind randvoll mit Tabletten und sollen zur Behandlung von Frühfällen und sogar zur Prävention dienen. "Damit wird den Menschen eine falsche Hoffnung gegeben", ärgert sich Göbel, gerade Leprakranke müssten oft schon Medikamente schlucken, noch mehr davon könne Nieren und Leber belasten. Enthalten in diesem Kit sind etwa etwa Ivermectin, das oft gegen Krätze und Würmer bei Tieren verabreicht wird, ebenso wie Chloroquin und Hydroxochloroquin, die gegen Malaria wirken. Dadurch würden andere wichtige Schutzmaßnahmen wie Isolation und Maskenpflicht vernachlässigt, mit dem Ergebnis, dass die Fallzahlen weiterhin steigen.

Es müsse "ein Wunder geschehen", meinen mittlerweile viele Brasilianer, wie Göbel erzählt, denn auf ihren Präsidenten Jair Bolsonaro brauchen sie nicht hoffen. Für diesen, so berichtet der ehemalige Entwicklungshelfer, war Corona nur eine "kleine Grippe", demonstrativ zeigte er sich bei Kundgebungen, "badete" in der Menschenmenge. Es werden also gemischte Signale ausgesendet, beschreibt Göbel: Während etwa Gouverneure oder Bürgermeister dazu aufrufen, zu Hause zu bleiben, schüttelt Bolsonaro Hände. Das sei kein Zufall, meint Göbel: Statt alle an einen Tisch zu bringen, spalte der Präsident das Land, falle den Gouverneuren in den Rücken, nutze die Krise, um Klima- und Umweltsündern das Leben zu erleichtern. Ausgerechnet jetzt, sagt Göbel kopfschüttelnd, werde die Behörde - nach der Entlassung zweier Gesundheitsminister - von einem ehemaligen Armee-General geführt. Und so mutet es verzweifelt an, wenn vor dem Dom der Stadt Caceres zu lesen ist: "Aus Liebe zu Gott bleibt zu Hause. Wir haben keine Intensiveinrichtungen. "

EK

 

Tina Steimle