Berlin (AFP) Strenger und realistischer, gut für Verbraucher und das Klima: Diese Versprechungen haben Autoindustrie und Bundesregierung an den neuen Abgas-Test geknüpft, der seit dem 1. September EU-weit gilt. Doch die Realität sieht offenbar ganz anders aus.
Wie aus internen Dokumenten hervorgeht, über die die ARD-Sendung "Panorama" gestern Abend berichten wollte, zwingt die Einführung der strengeren Tests die Autoindustrie nicht dazu, deutlich verbrauchsärmere Fahrzeuge zu bauen. Dafür haben sich laut Umweltverbänden auch die deutschen Hersteller und die Bundesregierung eingesetzt.
Seit dem 1. September müssen neue Fahrzeugtypen nach dem WLTP-Messverfahren (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure) geprüft werden. Den "Panorama"-Recherchen zufolge drängten Autobauer und Bundesregierung die EU-Kommission aber dazu, eine Software zu programmieren, die die Abgas-Werte aus dem neuen Test kleinrechnet.
Der Grund: Durch den strengeren Test erhöhen sich die offiziellen Abgas-Werte nach Schätzung des Verbands der Automobilindustrie (VDA) um bis zu 20 Prozent. Das brächte einige Hersteller in die Gefahr, die EU-Grenzwerte für CO2 zu verfehlen. Die Folge wären in dem Fall Strafzahlungen in Milliardenhöhe.
Der VDA forderte die Bundesregierung auf, diese Verschärfung der Grenzwerte "durch die Hintertür" zu verhindern, wie eine Präsentation des VDA für Regierungsvertreter aus dem Jahr 2013 zeigt. Die Präsentation sowie weitere Regierungsdokumente liegen der Nachrichtenagentur AFP vor.
Eine Vorlage aus dem Verkehrsministerium zeigt, wie sich Berlin für die Autobauer einsetzte. Die Regierung pochte demnach auf "vergleichbare Strenge" zwischen dem vorherigen Test NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) und dem neuen Test. Das Bundesverkehrsministerium äußerte sich auf Anfrage dazu nicht. Der alte Test galt unter Experten als nicht sonderlich streng.
So konnten die Autohersteller ihre Abgas-Werte auf dem Papier ständig verbessern. Die realen Emissionen und der reale Kraftstoffverbrauch hätten sich in den letzten Jahren hingegen "kaum verändert", sagte Peter Mock, Fahrzeugexperte bei der Umweltorganisation ICCT. "Wir führen das darauf zurück, dass immer mehr Schlupflöcher in der alten Testprozedur ausgenutzt werden", so Mock. Mittlerweile betrage der Unterschied zwischen den Verbrauchsangaben der Hersteller und den Werten auf der Straße mehr als 40 Prozent.
Schlecht für das Klima, denn für den EU-Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer im Jahr 2021 zählen nur die offiziellen Laborergebnisse. Und die werden wegen der EU-Software nicht realistischer, wie Mock sagt: "Am Ende kommen wir wahrscheinlich bei sehr ähnlichen Werten heraus, wie wir sie heute schon haben."
In der EU-Arbeitsgruppe, die die Software schrieb, setzte sich Deutschland offenbar vehement dafür ein, so viele Schlupflöcher wie möglich aus dem alten Test zu übernehmen. Greg Archer vom Umweltverband "Transport & Environment", der bei den Gesprächen im Raum war, sagte, der Vertreter der Bundesregierung sei "nicht von der Linie der Autoindustrie abgewichen." Das bestätigten auch andere Gesprächsteilnehmer.
VDA-Sprecher Eckehart Rotter sagte zur Rolle der Autoindustrie: "Sie brauchen die Expertise von denen, die diese Autos bauen." Zu glauben, dass die Regulierung zu lasch ausgefallen sei, nur weil die Industrie mit am Tisch sitze, entspreche nicht der Realität.
Eine Sprecherin der EU-Kommission teilte mit, dass die Regulierung auf der Basis "transparenter Konsultationen von technischen Experten, der Autoindustrie und Verbände" erarbeitet worden sei. Es gebe Kontrollen um sicherzustellen, dass die Hersteller nicht besser als im alten Test gestellt würden. Das Umrechnen der CO2-Emissionen ist bis 2021 erlaubt.
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