Schüsse aus der zweiten Reihe

14.07.2009 | Stand 03.12.2020, 4:49 Uhr |

Seitenblicke auf den Chef: Während OB Alfred Lehmann im Stadtrat redet, denkt sich Bürgermeister Albert Wittmann seinen Teil. Beide betonen aber die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Wenn ein Politiker behauptet, dass zwischen ihn und einen anderen "kein Blatt Papier" passt, dann ist Vorsicht geboten. Könnte sein, dass er sich mit dem Gedanken trägt, den anderen bei passender Gelegenheit zu meucheln. Von Oberbürgermeister Alfred Lehmann (59) und Finanzbürgermeister Albert Wittmann (56) war diese Formulierung, auch im vertraulichen Gespräch, noch nicht zu hören.

Das hindert den Stadtkämmerer aber nicht daran, zunehmend mit Auftritten ganz vorn an der Rampe auf sich aufmerksam zu machen. Nicht Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle stellte das städtische Verkehrskonzept in Etting und Friedrichshofen vor, sondern Albert Wittmann. Kein Wunder, dass sich auch in DK-Leserbriefen bereits der Eindruck verfestigt hat, beim so öffentlichkeitswirksamen Thema Verkehr habe allein der Bürgermeister das Sagen. "Wir fordern OB Lehmann auf", schrieben vergangene Woche die Vertreter der Wettstettener Bürgerinitiative, "sich öffentlich klar und unmissverständlich zu dem von der Stadt selbst mit beantragten Planfeststellungsbeschluss zu bekennen." Gemeint war die Nordumgehung Gaimersheim, deren Weiterbau der Ettinger Bürgermeister so konsequent wie beharrlich in Frage stellt.

Ein Mann, ein Machtwort

Persönlichkeitsbedingt wirkt bei dem ehemaligen Bundeswehroffizier – ob gewollt oder ungewollt – jede öffentliche Äußerung wie ein Machtwort. Wenn er zur möglichen Verlagerung der Technikerschule Stellung nimmt, wenn er ohne Stadtratsvotum verkündet, die große Theatersanierung mit Schließung des Hauses sei vorerst nicht bezahlbar, wenn er in einer CSU-Versammlung vorprescht und konstatiert, die Schließung einer Hauptschule sei vom Tisch – Wittmann ist ein Freund des klaren Wortes und auch in größeren Sälen ohne Mikrofon zu verstehen.

Dass sich da manchmal zwangsläufig die Frage aufdrängt , was denn eigentlich der Chef im Rathaus zu all diesen Themen sagt, sehen nicht nur die Vertreter der anderen Fraktionen im Stadtrat so.

"Ich habe überhaupt kein Problem", beteuert Alfred Lehmann, "auch mit anderen Mentalitäten umzugehen." Denn seine eigene Arbeitsweise sieht oft ganz anders aus. So sorgt der OB etwa als Aufsichtsratschef dafür, dass die großen städtischen Tochtergesellschaften vernünftig wirtschaften – ein Tätigkeitsfeld, bei dem ihm niemand eine hohe Kompetenz abspricht, das auch eine enorme Bedeutung für die Stadt hat. Nur: Von dieser Arbeit bekommen die Ingolstädter nicht viel mit. Und mit gesunden Bilanzen gewinnt man nicht die Herzen der Bürger. "Wenn in einem guten Klima was vorangeht", sagt Lehmann im Gespräch mit dem DK, "das ist meine Welt."

Auf sein Verhältnis zum zweiten Mann im Rathaus angesprochen, kommt die klare Antwort: "Ich habe null Probleme mit ihm. Ich könnte es mir nicht besser wünschen." Die Zusammenarbeit mit Wittmann, daran lässt der OB keinen Zweifel aufkommen, sei "menschlich und fachlich sehr gut", das Vertrauen "blind".

Kann der Kämmerer selbst sich vorstellen, Lehmann eines Tages abzulösen? Arbeitet er gar zielstrebig auf den "Ober" vor seinem Bürgermeistertitel hin? "Das war nie meine Absicht", versichert Wittmann, "und wird auch nie meine Absicht sein." Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, lässt er eine Würdigung des CSU-Kollegen folgen, die durchaus nicht heuchlerisch klingt. "Ich hoffe, dass er uns noch möglichst lange erhalten bleibt. Dr. Lehmann ist gerade auch in schweren Zeiten ein Segen für die Stadt, auch wenn mancher das noch nicht einsieht."

Der Kämmerer zögert keine Sekunde, das "absolut enge, freundschaftliche Verhältnis" mit Lehmann zu loben. Zudem habe er, Wittmann, eine Aufgabe, die ihn voll auslaste. "Ich habe noch keinen Tag bereut, sie übernommen zu haben." Kurzum: "Es war und ist nicht meine Lebensplanung, als OB zu kandidieren."

Trotz aller Beteuerungen: Die CSU wird wohl nicht erst am Vorabend der nächsten Kommunalwahl im Jahr 2014 darüber nachdenken, wen sie als Spitzenkandidaten ins Rennen schickt. Alfred Lehmann ist dann 64 und könnte noch einmal antreten, sich aber auch aus der Kommunalpolitik verabschieden. Was er vorhat, behält er bisher für sich. "Die Tendenz ist eher positiv", deutete er gegenüber dem DK zumindest vorsichtig an, dass zwölf Jahre als Oberbürgermeister nicht unbedingt das letzte Wort sein müssen.

"Spätestens 2011/12 müssen wir wissen, was 2014 passieren soll", sagt einer, der bei der OB-Kandidatur ein gewichtiges Wort mitreden wird: CSU-Fraktionschef Joachim Genosko. Der Wirtschaftsprofessor (60), dessen Emeritierung ebenfalls im Jahr 2014 ansteht, betont zwar ausdrücklich, dass es "keinen Sinn macht, einen OB nur für eine Wahlperiode zu installieren". Dass er sich aber mit Wittmann bestens versteht, ist kein Geheimnis. Es waren schließlich Genosko und Wittmann, die der CSU-Fraktion kürzlich mit Rücktritt drohten, wenn Stadtplaner Siegfried Dengler zum Stadtbaurat gewählt wird – und damit auch OB Lehmann zum Einlenken zwangen, der gut mit Dengler hätte leben können.

Nachwuchsproblem

In welcher personellen Konstellation die Christsozialen sich für die Kommunalwahl 2014 formieren, hängt natürlich nicht zuletzt vom eigenen Nachwuchs ab. Ein OB-Kandidat so um die 40 wäre rein parteistrategisch ideal. Wie zum Beispiel Christian Lösel (34). Der Steuerberater und Jung-Stadtrat hat allerdings schon einmal bei der Bundestagskandidatur gezögert und seiner jungen Familie den Vorzug vor der politischen Karriere gegeben. Außerdem zeigt er bislang, um es vorsichtig auszudrücken, noch keine übergroßen Anlagen zum Volkstribun. "Der sieht", lästert ein Parteifreund über Lösel, "Sozialpolitik doch nur als Steuerrechtsproblem." Lösel wäre nach Lehmann wieder einer, bei dem das Wirtschaftsdenken absolut im Vordergrund steht, so die Anmerkung des Kritikers aus den eigenen Reihen. INVG-Chef Robert Frank (39), der zeitweise ebenfalls als möglicher OB-Kandidat für 2014 gehandelt wurde, kommt in der Diskussion kaum noch vor.

Vielleicht bewahrheitet sich ja doch, was Joachim Genosko über das jetzige Führungstrio im Rathaus sagt. Seine Prognose für 2014: "Entweder wir hören gemeinsam auf oder wir machen gemeinsam weiter."

Artikel kommentieren