Pfaffenhofen
"Schrullig" aber nicht gefährlich

Angriffe auf Personal der Ilmtalklinik: 66-Jähriger aus Schuldunfähigkeit frei gesprochen

29.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:16 Uhr
Ein 66-Jähriger aus dem Landkreis Pfaffenhofen (vorne links) ist am Freitag am Ingolstädter Landgericht frei gesprochen worden. Er hatte sich wegen Angriffen gegen Mitarbeiter der Ilmtalklinik verantworten müssen - das Gericht ging von einer wahnhaften Störung aus und sprach ihn wegen Schuldunfähigkeit frei. −Foto: Müller

Pfaffenhofen/Ingolstadt - Beißt ein Hund, der einmal zugebissen hat, auch ein zweites Mal zu?

Zwar saß auf der Anklagebank am Freitag kein Hund, sondern ein 66-jähriger ehemaliger Landwirt aus dem Landkreis Pfaffenhofen. Parallelen zum Fall eines Hundes, der sich in einer eigentlich harmlosen Situation bedrängt fühlt und zubeißt, liegen aber nahe.

Das tatsächliche Tatgeschehen konnte mit Hilfe übereinstimmender Zeugenaussagen weitgehend rekonstruiert werden: Während der 66-Jährige im April vergangenen Jahres wegen seiner schweren Herzerkrankung stationär in der Pfaffenhofener Ilmtalklinik behandelt wurde, war der Mann handgreiflich geworden. Er hatte zunächst eine 31-jährige Ärztin zu Boden gestoßen, einem 33-jährigen Pfleger einen Kinnhaken zu versetzen versucht und schließlich einer 53-jährigen Krankenschwester eine Halbliter-Wasserkaraffe so auf den Hinterkopf geschlagen, dass das Glas zerbrach, und ihr daraufhin den scharfkantigen Restkrug ins Genick geworfen. Nachdem er bereits überwältigt war, hatte er Pfleger und Krankenschwester überdies mit einer "Halsabschneider-Geste" bedroht.

"Er fühlte sich in die Enge getrieben", fasste der Vorsitzende Richter der 5. Strafkammer des Ingolstädter Landgerichts, Thomas Denz, die Motivlage des Angeklagten nun zusammen.

Der 66-jährige Mann hatte während des Prozesses davon gesprochen, dass er Opfer eines "Blutraubes" werden sollte, und die "Balkan-Mafia" dahinter vermutet. Besonders empfindlich habe er reagiert, weil man ihm mehrfach auf den Defibrillator in seiner Brust geschlagen habe, was er als Tötungsversuch empfunden habe. Im Übrigen sei die Karaffe lediglich ein 0,2-Liter-Trinkglas gewesen. Die Zeugenaussagen lieferten jedoch für keine dieser Behauptungen Anhaltspunkte. Pfiffig hingegen und nur schwer zu widerlegen war die Erklärung der "Halsabschneider-Geste" durch den Angeklagten: Der 33-jährige Pfleger habe hantiert wie ein "Viechhandler". Aus seiner Zeit als Landwirt wisse er, dass diese in der Regel Betrüger seien. Nichts anderes habe er mit seiner Geste zum Ausdruck bringen wollen.

Auch wenn der Angeklagte am Freitag beteuerte: "Ich bin nicht verrückt! " Das Gericht folgte dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, Landgerichtsarzt Thomas Obergrießer, ging von wahnhafter Störung aus und sprach den 66-Jährigen - wie von Staatsanwalt Lorenz Mödl und Verteidiger Stefan Roeder in ihren Plädoyers beantragt - wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der (gefährlichen) Körperverletzung frei.

Fraglich war, ob die Voraussetzungen für die von der Staatsanwaltschaft geforderte Unterbringung in der Psychiatrie vorlagen. Dazu müssten vom Angeklagten erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sein - und dafür, so der Vorsitzende bei der Urteilsbegründung, fehle es an belastbaren Anhaltspunkten. Der 66-Jährige "mag zwar schrullig sein", er habe jedoch weder vor noch nach der Tat in der Ilmtalklinik "Aggression-Delikte" verübt. Im Gegenteil: Von seinem "Persönlichkeitsinventar" her gehe er Konflikten aus dem Weg.

Die bloße Möglichkeit einer Wiederholung reiche nicht aus, im Zweifel sei zugunsten der Freiheit des Angeklagten zu entscheiden, zumal die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine überaus intensive Form der Freiheitsentziehung darstelle. Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, so Denz weiter, der vor vier Jahren die Hürden für die Anordnung einer Unterbringung erhöht habe. Das Gericht entschied daher gegen eine Unterbringung.

PK