München (DK) "Salonmalerei" hat in Deutschland einen negativen Beigeschmack. Generationen von Kunsthistorikern haben bestimmten Strömungen des 19. Jahrhunderts einen Hang zu Schwülstigkeit, Kitsch und Gefälligkeit nachgesagt - und dem gegenüber Impressionismus und Symbolismus in den Kunsthimmel erhoben. Doch langsam scheint sich das Blatt zu wenden und das Interesse an einer Malerei (wieder) zu erwachen, die zwischen 1850 bis 1900 in großen Ausstellungen gezeigt, prämiert und teuer gehandelt wurde. Die Hypo-Kunsthalle zeigt nun rund hundert Werke, die erstmals von der Seine an die Isar gereist sind.
Das Musée d'Orsay war ursprünglich ein Bahnhof, erbaut zur Weltausstellung 1900 in Paris. Seit 1986 werden hier auf 16 000 Quadratmetern 4000 Exponate gezeigt. Die Touristen strömen meist in die Räume unterm Dach, wo die Impressionisten beheimatet sind, oder stehen Schlange für spektakuläre Ausstellungen. Die Franzosen aber wissen, dass in diesen Hallen jene Werke gezeigt werden, die französische Geschichte darstellen. Im 19. Jahrhundert war eine wichtige Aufgabe der Maler zu erzählen: So zeigt Alphonse de Neuville den Friedhof in Saint-Privat nahe Metz während der Schlacht gegen die Preußen 1870, wo Tausende Soldaten sozusagen "über den Gräbern" starben. André Devambez malt eine Demonstration auf dem Boulevard Montmartre aus der Vogelperspektive, und in dieser Nacht leuchten die leeren Bistrotische, während Menschen wie in einer Filmsequenz die Flucht ergreifen oder sich zu lebenden Mauern formieren. Und Gustave Guillaumet stellt romantisch verklärt die algerische Sahara dar, die 1852 von den Franzosen besetzt worden war und wo 1879 der Wüstenwind das Alltagsleben der Einheimischen bestimmte.
Eröffnet wird die Schau dieser Maler, die in Deutschland nahezu unbekannt sind, von einem Foto der französischen Stipendiaten vor der Villa Medici in Rom. Rund 30 Männer stellen mit Hut und Halstuch, Umhang und Haartracht, Blick und Pose ihre vermeintliche Genialität zur Schau. Wer hier nach Rom kam, hatte es fast geschafft: Nach einer intensiven Ausbildung an der Akademie wurden die Besten für das Stipendium ausgewählt, und von Rom aus wiederum bewarben sich die Künstler mit Gemälden für den "Salon de Paris", der größten und wichtigsten Ausstellung des internationalen Kunstbetriebes. Wer dort, wo Tausende Gemälde in vier Reihen übereinander hingen, auffiel und mit einer Medaille ausgezeichnet wurde, der hatte entweder einen Staatsauftrag in der Tasche oder fand im Bürgertum finanzkräftige Käufer.
Interessant ist das Konzept der Malerei, das der Ausstellungstitel in drei Worte zusammenfasst: "Gut. Wahr. Schön." Dahinter steckt die platonische Vorstellung, dass die Wirklichkeit gut, wahr und schön ist. Der weibliche Akt in seiner jungfräulichen Variante stand deshalb hoch im Kurs - beispielhaft dafür ist das Bild "Die Quelle" von Jean-Auguste-Dominique Ingres: Eine junge Frau mit verträumtem Blick und leicht geöffneten Lippen lässt Wasser aus einem Krug fließen und zeigt ihren vollendeten Körper. 36 Jahre hat der Künstler an diesem Werk gearbeitet, zwei Kollegen halfen bei der Dekoration im Hintergrund - allein dies lässt erahnen, welche Kunstfertigkeit in diesen Gemälden steckt, zumal die meisten mehrere Quadratmeter Leinwand einnehmen.
Ist dies nun alles nur schöne Dekoration? Nein, viele Werke zeigen in verschwenderischer Fülle Legenden, Märchen, Mythologie und Historie. Die Hypo-Kunsthalle tut gut daran, den meisten Bildern längere Texte beizufügen. So erfährt der Betrachter, dass Jean-Paul Laurens anhand von Requisiten im Bild die Exkommunikation Roberts des Frommen dokumentiert: Die Sitzpolster sind eingesessen, aber leer; die Prozession der Kleriker entfernt sich; im Vordergrund kräuselt der Rauch einer umgestoßenen Kerze. Der französische König hatte durch eine inzestuöse Heirat für Konflikte gesorgt - das Bild zeigt das Paar in seiner Verlassenheit, als wäre es eine Opernszene.
Es gilt also, Neues zu entdecken in dieser besonderen Ausstellung aus Paris. Und "nebenbei" drängt sich der Gedanke auf, dass nach Jahrzehnten, in denen der Kunstbetrieb auf Moderne, auf Abstraktion, auf Avantgarde fokussiert war, jetzt auch die Lust an naturalistischer und realistischer Malerei wieder zu ihrem Recht kommt. Zu sehen ist großartige Malkunst, die jungfräuliche Schönheit ebenso darzustellen vermag wie Hautfalten und Adern des uralten Hiob.
Bis zum 28. Januar in der Hypo-Kunsthalle, Theatinerstraße 8, geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr.
Zu den Kommentaren