Schönes Scheitern

Ausstellung mit Videoarbeiten im Kunstraum der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst München zur Sehnsucht

30.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:15 Uhr
Nach dem Vorbild von Caspar David Friedrich inszeniert sich der Künstler Sebastian Stumpf. −Foto: DGfcK

München - Spätestens seit Fellinis Film "E la nave va" (Fellinis Schiff der Träume) symbolisiert ein sanft dahingleitendes Wasserfahrzeug die Sehnsucht an sich.

Und so steht auch in den Galerieräumen der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst (DGfcK) ein überdimensionales Papierschiff, das die Kuratoren Benita Meißner und Ulrich Schäfert gemeinsam gefaltet haben. In den acht Videoarbeiten, die unter dem Titel "Sehnsucht?" zu sehen sind, spielt ebenfalls das Wasser eine wichtige Rolle. Und wenn Fellinis Film den Untergang Europas im Ersten Weltkrieg zelebriert, dann verdeutlicht diese Video-Ausstellung die Vereinzelung des Menschen - ein passendes Thema in Corona-Zeiten.

Wovon träumt eine junge Frau, die in einem botanischen Garten schläft, umringt von Tieren und Pflanzen? Erinnert sie sich an das verlorene Paradies der Menschen, wenn Vogelstimmen in ihren Traum hineinrufen? Der Film von Heike Mutter und Ulrich Genth - beide lehren an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste - ist ebenso meditativ-entschleunigend wie das Video "Inseln" von Sebastian Stumpf aus Leipzig. Der Künstler steht als Rückenfigur, ganz nach dem romantischen Vorbild von Caspar David Friedrich, in einer künstlichen Seenlandschaft und schaut zu, wie ein ehemaliges Gebiet des Tagebaus geflutet wird und unmerklich versinkt. Die Münchnerin Judith Egger angelt dagegen am Meeresufer mit Mikrofonen, die in Styroporkugeln verpackt sind, nach den Geräuschen des Wassers, die verfremdet über Lautsprecher eingespielt werden. Das meditative Atmen des Meeres lässt sich nur verwandelt einfangen, und die dreiteilige Riesen-Angel, die im Ausstellungsraum gezeigt wird, lässt ahnen, wie mühsam dieses Unterfangen zwischen Wind und Wellen ist.

Keine Mühen gescheut hat auch Frank Bölter. Der in Köln lebende Künstler filmte, wie er in Sri Lanka ein riesiges Boot aus beschichtetem Papier faltet - allein die Zusammenarbeit der zufällig anwesenden Männer am Strand, ihr Fachsimpeln und ihr Eifer ist ein sehenswertes Beispiel für die Entfaltung männlicher Technik-Begeisterung. Dass das Boot nur wenige Meter schwimmt und dann kläglich zerfällt ist ein so schönes Scheitern, das wohl jedem Zuschauer ein Lächeln ins Gesicht schreibt.

Vier weitere Videoarbeiten stammen von den Münchner Künstlern Birthe Blauth, Susanne Wagner, Leonie Felle und Boris Maximowitz. Letzterer reiste mit dem Ziel nach St. Petersburg, im öffentlichen Raum mit Interventionen zu provozieren. Daraus wurde dann eine Aktion, Kaputtes zu heilen: Abseits des Newski-Prospekts, im Hinterhof von Kommunalka-Häusern, spachtelte er einen Mauerriss zu und glättete damit eine Ruine, die in der Romantik hoch geschätzt wurde. Möglicherweise hat ihm diese sanfte Intervention eine Erfahrung mit russischen Gefängniszellen erspart.

Die Sehnsucht jedenfalls - das zeigen die Beispiele - muss sich immer wieder an der Materie erproben und reiben. Erfüllung gelingt, wenn überhaupt, nur in kurzen Momenten. Aber das schöne Scheitern, zum Beispiel mit einem Papierboot im Meer, ist auf jeden Fall diese Mühe wert.

DK


Bis 6. August im Kunstraum der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, München, Finkenstr. 4, dienstags bis freitags 12 bis 18 Uhr.

Annette Krauß