Schmerzhafte Begegnung im Gerichtssaal

21.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:40 Uhr

Ingolstadt (sic) Die Begegnung ließ sich nicht vermeiden. Das Opfer musste aussagen. Zu groß waren gestern die Unterschiede zwischen dem, was die 15-jährige Schülerin bei den Ermittlungsbehörden zu Protokoll gegeben hatte, und den Angaben des Angeklagten, dem 30-jährigen Stiefvater der jungen Frau.

Mehrere Minuten musste sie im Sitzungssaal in seiner Nähe verbringen. Der Mann laut schniefend, den Blick von seinem Opfer und dem Publikum konsequent abgewandt, die 15- Jährige neben ihm im Zeugenstand, fast auf gleicher Höhe. Dann reagierte das Gericht unter dem Vorsitz von Richter Georg Sitka auf die Ankündigung der Schülerin zu schweigen, so lange der Beschuldigte im Saal sitze, und schloss den 30-Jährigen für die Dauer ihrer Aussage von der Verhandlung aus.

Sitka befragte das Opfer einfühlsam, beschränkte sich auf das Nötigste. Ruhig und konzentriert bestätigte die 15-Jährige alle Straftaten, die Staatsanwältin Julia Haselsteiner dem Stiefvater zuvor zur Last gelegt hatte: zwei Fälle von schwerer Vergewaltigung sowie mehrere Fälle von schwerer sexueller Nötigung und einfachem sexuellem Missbrauch.

Die Serie der Taten begann der Aussage zufolge kurz nach dem Umzug der Familie in den Kreis Pfaffenhofen im Herbst 2005. Das Mädchen war zwölf, als sich der Stiefvater erstmals zu ihr ins Bett gelegt und sie gegen ihren Widerstand intim berührt haben soll. Im Jahr darauf näherte er sich dem Mädchen immer brutaler. Zwei Mal fesselte er sie vor einem Vergewaltigungsversuch mit Klebeband ans Bett, mindestens ein Mal presste er ihr ein Kissen ins Gesicht, um ihre Schreie zu unterdrücken. "Ich hab’ jedes Mal versucht, ihn wegzudrängen", sagte die 15-Jährige gestern aus, "aber es hat nichts geholfen, weil er stärker war." Das Leiden hatte erst ein Ende, als die Mutter ihren Ehemann im März 2007 bei einem der Übergriffe überraschte.

Eine Gutachterin attestierte dem Opfer volle Glaubwürdigkeit. Sie habe keine Hinweise auf "Gedächtniseinschränkungen" oder eine "eingeschränkte Wahrnehmung" festgestellt, so die Diplompsychologin. Der ruhige Auftritt der 15-Jährigen vor Gericht täusche aber ein wenig: Sie sei sehr wohl traumatisiert, argumentierte die Expertin. Als Folge sei es "zur Abspaltung von Gefühlen gekommen". Deshalb wirke das Opfer so gefasst.

Zuvor hatte der Angeklagte unter Tränen ein umfassendes Geständnis abgelegt, das nur in Details von den Aussagen der Stieftochter abwich. Den Einsatz von Klebeband leugnete er nicht, auch nicht die Zahl der Übergriffe und die Gegenwehr. "Ich kann mir das nicht erklären, alles tut mir so schrecklich leid", schluchzte er mehrmals. Nach der ersten Tat ("Es ist einfach so passiert"), sei er schockiert gewesen. "Dieser Schock scheint aber keine nachhaltige Wirkung gehabt zu haben", erwiderte Richter Sitka.

Darauf rückte der Angeklagte seine Sucht in den Mittelpunkt Er sei stets betrunken gewesen. Ein Gutachter bestätigte die Alkoholabhängigkeit. Ja, er habe versucht, das Mädchen zu vergewaltigen, sagte der 30-Jährige. Es sei ihm wegen der Gegenwehr aber nie gelungen. Strafrechtlich sei da kein Unterschied, erklärte die Staatsanwältin. Es bleibe bei zwei Fällen von schwerer Vergewaltigung. Das Urteil fällt am Montag.