Ingolstadt
Schmerzensmusik in Dur

25.09.2011 | Stand 03.12.2020, 2:22 Uhr

Veronika Eberle und Yumiko Urabe waren perfekt aufeinander eingespielt - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Wie soll man mit solcher Musik umgehen? Seine erste Violinsonate hat Johannes Brahms 1878/79 als Totenmusik komponiert, gewidmet hat er sie Clara Schumann, der für ihn wohl wichtigsten Freundin überhaupt, um sie zu trösten.

Kurz zuvor war ihr jüngster Sohn Felix gestorben. „Ich konnte nicht anders, als in Tränen der Freude ausbrechen. (. . .) Ich wünschte mir, der letzte Satz würde mich ins Jenseits begleiten“, soll die große Pianistin über die Violinsonate gesagt haben. Aber irritierenderweise ist dieses Stück in Dur geschrieben, es ist voller herbstlich schöner Melodien. Bestimmt wird das Stück vom Thema des „Regenlieds“, das Brahms bereits 1873 komponiert hatte, ebenfalls um Clara Trost zu spenden, die gerade erfahren hatte, dass Felix an Tuberkulose erkrankt war.

Der jungen Geigerin Veronika Eberle gelang bei ihrem Gastspiel beim Konzertverein Ingolstadt das eigentlich Unmögliche: Sie gestaltete die liedhaften Motive als niederschmetternde Trauermusik. Bereits die ersten Takte hauchte sie so verinnerlicht, so schmerzerfüllt, so unendlich leise und so voller vibrierender Intensität in den Festsaal, dass man zutiefst berührt war. Dabei spielte Eberle keineswegs besonders getragen oder gedämpft. Vielmehr wandelte sich ihr Geigenton ununterbrochen, von den ersten Klagelauten zu energischeren Klängen, die wie ein dramatisches, trotziges Aufbegehren gegen das Schicksal wirkten. Im zweiten Satz strahlten besonders die Doppelgriffe innige Wärme aus, während der langsame punktierte Regenlied-Rhythmus des Klaviers sich zu einer Art immer tragischer werdenden Trauermarsch entwickelte. Die junge Geigerin Veronika Eberle spielte das mit einer inneren Reife, die man einer 22-Jährigen kaum zutraut. Und die Pianistin Yumiko Urabe begleitete sie dabei im höchsten Maße einfühlsam.

Eröffnet hatte Veronika Eberle (die übrigens vor sechs Jahren mit dem Musikförderungspreis des Konzertvereins ausgezeichnet wurde) den Abend in gänzlich anderer Gemütslage. Auf dem Programm stand eins der optimistischsten und virtuosesten Werke von Johann Sebastian Bach, die Partita für Solovioline in E-Dur. Gleich den Kopfsatz, ein Preludio, ging Veronika Eberle in stürmischem Tempo mit kraftvollem Ton und voller pathetischer Geschwindigkeitswechsel an. Allerdings merkte man der jungen Geigerin hier mehr als bei jedem anderen Werk des Abends an, dass sie noch in der Erprobungsphase steckt, dass sie sich noch nicht jeder Note dieses Satzes absolut gewiss ist. Das änderte sich in den folgenden Tanzsätzen. Eberle nahm hier jeden oberflächlichen Glanz aus ihrem Instrument heraus, spielte mit zurückhaltender, tippelnder Eleganz, ohne jemals aufzutrumpfen.

Nach der Pause stand ein weiteres Schwergewicht der Violinliteratur auf dem Programm, Béla Bartoks 1. Violinsonate. Die Sonate ist eigentlich im höchsten Maße undankbar: Sie ist technisch höllisch schwer (sowohl für die Violine als auch für das Klavier) ohne dabei mit zirzensischem Feuerwerk das Publikum zu blenden. Veronika Eberle allerdings schien sich ohnehin weniger für den Rausch der Virtuosität zu interessieren. Die eindrucksvollsten Momente erklangen so im langsamen Satz. Nur eine wirklich große und bedeutende Geigerin kann das lang gezogene, zerklüftete Thema so hoch differenziert, so aus einem Guss gestalten wie diese junge Donauwörther Geigerin. Da ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit, dass sie auch den volkstümlichen Csárdás-Charakter des Finalsatzes mit dämonischer Wildheit interpretierte und beim langen Kopfsatz jederzeit die Übersicht behielt, während Yumiko Urabe ein grandios tosendes Klavierklanggemälde entwickelte.

Nach so viel ernster Musik ließen die beiden Musiker den Abend mit eher leichter Musik in einer Zugabe ausklingen: mit dem Andantino aus Franz Schuberts A-Dur-Sonate. Verblüffen konnte Veronika Eberle auch hier mit klanglicher Finesse, indem sie bei jeder tonalen Verschiebung die Motive in eine immer wieder andere Färbung tauchte. Vielleicht profitierte die junge Geigerin auch ein wenig von ihrem hervorragenden Instrument. Eberle musiziert auf der Stradivari „Dragonetti“, die ihr von der Nippon Music Foundation geliehen wurde und die zuvor Frank Peter Zimmermann nutzte.