München
Schlechtes Wetter in New York

Ausstellung in München: Der Fotograf Saul Leiter lässt die Farben im grauen Umfeld leuchten

06.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:19 Uhr
Impressionen aus New York: Saul Leiter, Street Scene, 1957. −Foto: Saul Leiter Foundation

München (DK) Er muss sie geliebt haben, die Schneeregen-Tage in New York, an denen alles Licht wie verschluckt scheint - und dann blitzt im Grau der rote Regenschirm auf.

Saul Leiter, Pionier der Farbfotografie, hat den Moment festgehalten: Er selbst sitzt im Fond eines Autos, die Scheiben sind verschmiert von nassen Flocken, ein gelbes Taxi mit weißem Schnee auf der Heckscheibe schiebt sich in die Szene, die beherrscht wird von diesem großen, roten Schirm am oberen Rand des Bildes.

Es ist fast gegen alle Regeln der Kunst, denn die durch das Wetter eilenden Menschen sind nicht erkennbar, die Kontur des Schirms ist unscharf, das Autofenster begrenzt den Blick auf die Straße - und doch wird vor diesem Foto erkennbar: Saul Leiter hatte den Blick des Künstlers - und nicht den des Laienfotografen, der alles scharf sehen will.

Dabei war auch Leiter Autodidakt - sowohl in der Fotografie als auch in der Malerei. 1923 in Pittsburgh (Pennsylvania) geboren, besuchte er die Talmud-Schule und sollte nach dem Willen seines Vaters Rabbiner werden. Etwa 1935 schenkt ihm seine Mutter eine Kamera, in den folgenden Jahren kommen die ersten Farbfilme auf den Markt. Leiter hat erste Ausstellungen seiner Malerei in Galerien, und er entscheidet sich 1946 ausschließlich für die Kunst und das Leben in New York.

Was er in Schwarzweiß und ab 1948 in Farbe fotografiert hat, zeigt nun eine Ausstellung im Kunstfoyer der Versicherungskammer-Kulturstiftung. Über 300 Exponate sind zu sehen - darunter auch einige kleinformatige schwarzweiße Vintage-Abzüge. Die Mehrzahl der Fotografien aber wurden neu entwickelt, denn Leiter traute keinem Farblabor und fotografierte in Farbe nur Dias. Diese haben bis heute ihre Qualität behalten. Leiter starb am 26. November 2013 im Alter von 89 Jahren in New York - aus seinem Nachlass wurden bisher 20000 Exponate katalogisiert.

Der ungewöhnliche Blick dieses Fotografen, der wenig reiste und viel in New Yorks Straßen unterwegs war, lässt sich in der Ausstellung gut studieren. Er war fasziniert von Spiegelungen und von diaphanen Durchblicken, die zuweilen soweit gehen, dass kaum entscheidbar ist, was das eigentliche Objekt seines Blickes war: Die Fensterscheibe? Die Passanten? Die rahmende Architektur? Es ist das Zusammenspiel von Unschärfe in der Bewegung, von reflektierendem Licht und von Glas, das von Feuchtigkeit beschlagen ist, an dem die Tropfen herunterrinnen oder das durch Eisblumen nur halbtransparent erscheint. Und dann ist es der Augenblick, wenn Passanten vorübereilen und ein Detail in Farbe aufleuchtet - das ist es, was Leiter festhalten will. Die so entstehenden Aufnahmen suchen die Nähe zur Abstraktion, obwohl sie von konkreten Dingen ausgehen. Umgekehrt übermalt Leiter Fotos von Aktmodellen zu farbigen Landschaften. Andere Gemälde verarbeiten das "Action Painting" seiner Künstlerkollegen oder er antwortet mit Fotos auf die Farbflächen-Malerei eines Mark Rothko oder Piet Mondrian.

Ab 1958 beginnt Leiter auch für das amerikanische Modemagazin "Harper´s Bazaar" zu arbeiten. Und entgegen der damaligen Gepflogenheiten fotografiert Leiter auch die Mode nicht im Studio, sondern auf der Straße und in Bewegung: Eine Dame berührt mit ihrer Fußspitze gerade den Bordstein, um sich im hellen Mantel halb zurückzuwenden zur Straße, den Blick auf den Asphalt gesenkt - eine vollendete Pose, bei der das lebendige Modell hinter der Eleganz der Kleidung zurücktritt.

Im Selbstporträt fotografiert sich Leiter im Spiegel hinter seiner Kamera. Ein Künstlerporträt zeigt ihn in seiner New Yorker Wohnung, fast zugewuchert von Foto-Schachteln und Bildbänden. Dieser Enge zwischen der Kunst ist er regelmäßig entflohen in die Straßen New Yorks - gerade auch bei sogenanntem "schlechten" Wetter.

Kunstfoyer Versicherungskammer Kulturstiftung, München, Maximilianstraße 53, bis 15. September, täglich von 9 bis 19 Uhr, Eintritt frei.

Annette Krauß