stadtgeflüster
Schlachten und Angriffswellen

18.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:13 Uhr

(rh) In diesen Wochen, da wieder stolze junge Männer aus Deutschland noch mit allzu großen Erwartungen kurz vor Moskau stehen, ist es an der Zeit, den bekannten Begriff der Friedensdividende völlig neu zu definieren.

Und zwar nicht in dem Sinn wie die amtierende Bundesverteidigungsministerin, die den eingesparten Kundendienst bei ihrem technischen Kriegsgerät durch die intakte militärische Disziplin des Bedienungspersonals wettzumachen hofft. Sondern dergestalt, dass der männliche Teil der deutschen Bevölkerung inzwischen seine Lebenserinnerungen nicht mehr nach der - mehr oder weniger erzwungenen - Mitwirkung an blutigen staatlichen Gemetzeln einordnen muss.

Wer damals das Glück hatte, nach dem Zweiten Weltkrieg lebend aus Russland heimzukehren, den konnte danach nichts mehr so leicht schockieren. Wenn so verdienstvolle Leute wie die längst verstorbenen Ingolstädter SPD-Stadträte Fritz Böhm und Heiner Gruber ins Erzählen von früher gerieten, waren von ihnen beileibe keine soldatischen Heldentaten zu erwarten, nur das sichere Gefühl: Ein selbst erlebter Krieg brennt sich in das Gedächtnis des Menschen ein wie nichts anderes.

Die Senioren von heute haben andere Schlachten im Sinn, die in ihrer Erinnerung immer wieder hochkommen, bei denen aber kein Blut mehr fließen musste - es sei denn, der Schädel des deutschen Stürmers vom Kaliber eines Horst Hrubesch war im Strafraum mit dem des gegnerischen Verteidigers zusammengeprallt. Und als es bei der Fußball-WM 1966 gegen "den Tommy" im Finale von Wembley richtig ernst wurde, mussten keine Flugabwehrgeschütze mehr in Stellung gebracht, sondern nur die ersten kleinen Schwarzweißfernseher angeknipst werden, die sich die Familien leisten konnten.

Ausgerechnet gegen die Italiener, bei denen man doch jetzt so gerne Urlaub machte, geriet das WM-Halbfinale 1970 zur Hitzeschlacht von Mexiko, die echte Helden gebar, diesmal sogar schon in TV-Farbe. Zwar war es nicht der Spieler namens Siegfried (! ) Held, dem in diesem Jahrhundertspiel einer der Treffer gelang, aber Seeler, Schnellinger, Beckenbauer (mit Schulterbandage), Müller, Overath & Co. kämpften bei 50 Grad im Aztekenstadion bis zum letzten Schweißtropfen für Volk und Vaterland. Einen Führer brauchte man gottlob nicht mehr, man hatte ja den netten Herrn mit der Glatze, der als Bundestrainer seine Fußballertruppe anleitete, nicht etwa befehligte. Beiden Mannschaften dieses monumentalen Fußballkampfes vom 17. Juni 1970 gebühren auf alle Zeiten Ruhm und Ehre, wie eine Gedenktafel am Stadion noch heute völlig zu recht bekundet.

Gut möglich, dass die Holländer vier Jahre später nach dem verlorenen WM-Finale von München sich sagten: Immer noch besser, nur einen deutschen Bomber (wie Gerd Müller) gegen sich, als viele deutsche Bomber (wie im Zweiten Weltkrieg) über sich zu haben.