Ingolstadt
Schichtarbeit in der Römergrube

Ein Selbstversuch auf der archäologischen Ausgrabungsfläche an der B 16

09.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Mitten durch eine römische Siedlung verläuft die B 16 bei Weichering. Die Verbreiterung der Trasse gibt Archäologen die Möglichkeit, die antiken Überreste zu untersuchen. - Fotos: Hammer

Weichering (DK) Der Weg in die Vergangenheit erfolgt auf Knien und in Zentimeterschritten. Und er führt nach unten. "Putzen" nennen die Archäologen das Verfahren, bei dem der Boden eines Erdlochs mit einem Gartengerät glattgekratzt wird. Ziel ist es, eine ebene Fläche zu erzeugen, auf der Verfärbungen im Boden erkennbar werden. Genau die richtige Aufgabe für den Aushilfsarchäologen, der diesen Vormittag an der Grabungsstelle an der B 16 bei Weichering mitarbeiten will. Vermutlich haben auch Johann Winkelmann, Heinrich Schliemann und Indiana Jones dereinst in dieser Haltung ihre Karrieren begonnen. Grabungsleiterin Vera Planert stellt ein überraschend bequemes Kniekissen zur Verfügung und dann geht es los.

Am Rande der Grube sitzt Enikö Szücs-Pap. Sie ist über ein Blatt Papier gebeugt und zeichnet. Maßstabsgetreu hält sie die Boden-Verfärbungen fest. Ob ihr die Kratzerei des Laien wohl eine gute Vorlage bietet? "Passt schon", sagt Planert gnädig. Beim Blick über die Schultern von Szücs-Pap wird deutlich, was aus der hockenden Perspektive - zumindest für den Laien - größtenteils verborgen bleibt: Linien ziehen sich über den Boden. Dunkelgraue, rote und helle Bögen verlaufen durch das Areal. Planert und ihre Kollegen erkennen in ihnen Spuren dutzender Gruben, die einst die Römer hier gegraben haben. Warum auch immer. Aus den Rändern der Grube ragen Schweineknochen. Offenbar wurden sie hier vor über tausend Jahren entsorgt. "Das war hier alles römisches Siedlungsgebiet", sagt die Grabungsleiterin. Etwas weiter westlich haben die Archäologen 27 gleich große Pfostenlöcher in einer Reihe gefunden. Vielleicht stand hier einmal ein Holzzaun. In einer Grube daneben offenbart sich auch dem ungeübten Auge ein kreisrunder Fleck im Boden: die Spuren eines Brunnens. Auch die Überreste von Häusern sind aufgetaucht und ein Grab aus der Zeit der Glockenbecherkultur - noch einmal über 2000 Jahre älter als die römischen Funde. Wie groß die Siedlung hier einst war, lässt sich nicht sagen. Im Zuge des Ausbaus der Bundesstraße 16 haben die Archäologen lediglich die Möglichkeit, die Streifen links und rechts der Straße zu untersuchen und die Funde genau zu dokumentieren, bevor sie unter dem neuen Asphalt verschwinden.

Es dauert nicht lange, da machen sich die Finger schmerzhaft bemerkbar. Auch wenn es noch keine Blasen gibt, ist bereits spürbar, wo sie sich bilden werden. An einer Stelle legt die kleine Harke deutlich dunklere Erdschichten frei. Die Hoffnung auf eine archäologische Sensation verfliegt aber schnell. "Ein Tierbau", erklärt Szücs-Pap, die die Stelle auf ihrer Zeichnung bereits mit einer Schraffur versehen hat. Sind die Zeichnungen im Boden in einer Ebene erfasst, wird die Grabungsstelle um rund 20 Zentimeter vertieft und das Putzen beginnt von Neuem. Schicht für Schicht ergibt sich so ein dreidimensionales Bild des antiken Grubenkomplexes. "Das machen wir so lange, bis sich nichts mehr verändert oder wir den Grund erreicht haben", erläutert Planert.

Am Nachbarloch tut sich was. Claudio Baltes trägt einen Sonnenschirm herbei. Dabei ist es an diesem Vormittag doch gar nicht so heiß. Tatsächlich beschattet er nicht den Kollegen Lászlò Kovács in der Grube, sondern den Rand des Lochs. Harte Schatten im grellen Sonnenlicht sollen vermieden werden, um das Profil möglichst detailreich abfotografieren zu können. Kovács drapiert eine Informationstafel und einen Papppfeil, der nach Norden weist, im Bildausschnitt und drückt ab. Der Sonnenschirm wird wieder zusammengeklappt. An anderen Tagen sind freilich auch die Archäologen um etwas Schatten froh. "Vergangene Woche hatten wir in der Grube 52 Grad", berichtet Baltes. Sonnencreme und eine Kopfbedeckung gehören dann zur Ausrüstung der Archäologen wie Zeichenblock und Grabungswerkzeug.

Die Arbeit der Archäologen ist begleitet von ständigem Verkehrslärm. Immer wieder ziehen Eurofighter im Landeanflug über die Grabungsstelle hinweg. Wenige Meter von den Archäologen entfernt rauscht ein Lkw nach dem anderen vorbei. An die Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 Kilometern in der Stunde hält sich niemand. Manchmal hupt jemand, ein Autofahrer ruft etwas aus dem Fenster. Planert zuckt nur mit den Schultern. "Nicht alle verstehen, was wir hier machen", berichtet sie. "Einmal hat mich jemand gefragt, ob wir hier Spargel anbauen."