Feucht
Schelte für Gaffer zieht bundesweit Kreise

Wie ein früher in Eichstätt tätiger Polizist ein hochbrisantes Problem zum Tagesgespräch machte

22.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:07 Uhr


Feucht (DK) Mit diesen Folgen hatte Stefan Pfeiffer nicht gerechnet: Der Chef der Verkehrspolizeiinspektion in Feucht hatte am Dienstag, wie berichtet, nach einem tödlichen Unfall auf der A6 mit emotionalen Worten etliche Gaffer zur Rede gestellt, als sie mit gezückten Handys filmend an der Unglücksstelle vorbeigefahren waren.

Sein Ausraster sorgte gestern bundesweit für Gesprächsstoff, wie Anfragen im Dutzend aus ganz Deutschland bei seiner Dienststelle belegten.  Pfeiffer gehörte früher der Eichstätter Bereitschaftspolizei an.
 Sein Wutausbruch war wohl der sprichwörtlich letzte Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Nachdem ein 47-Jähriger auf der A 6 am Steuer eines Sattelzugs  vorgestern auf seinen Vordermann aufgefahren und dabei gestorben war, hatte es wegen der vielen Schaulustigen rasch Staus gegeben – selbst auf der Gegenspur stockte der Verkehr. Da platzte Einsatzleiter Pfeiffer der Kragen: „Sie können gerne aussteigen und sich die Leiche anschauen“, schnauzte er die Insassen eines Kleinwagens an, als sie mit gezückten Handys vorbeirollten.

Leser unserer App finden das Video hier.

Einem Lkw-Fahrer bot er an, Bilder von dem Toten zu machen, natürlich nicht im Ernst. „Es ist für uns durchaus eine Möglichkeit, die Leute mal mit ihrem Verhalten zu konfrontieren“, sagte er. Polizeichef Pfeiffer wirkte bei so viel offen gezeigter Sensationsgier und Schamlosigkeit sichtlich angefressen. „Es ist teilweise etwas frustrierend, so etwas immer wieder zu erleben.“ Ein Video von den Vorgängen findet  große Beachtung im Netz, viele Nutzer zollen Pfeiffer  Respekt. Lob kam auch von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): „Das Verhalten vieler Gaffer ist unverschämt und unverantwortlich. Ich freue mich, dass der Polizeikollege das einigen Gaffern auch mal emotional nahegebracht hat.“ 

Pfeiffer wollte sich angesichts der vielen Anfragen nicht mehr äußern und verwies auf das übergeordnete Polizeipräsidium in Nürnberg. Sein Auftreten sei vielleicht „ein wenig rüde“ und der „Situation geschuldet gewesen“, meinte Elke Schönwald vom Präsidialbüro. Selbst wenn es nicht „der Standard polizeilichen Einschreitens gewesen ist, genießt er schon die Rückendeckung seiner Vorgesetzten“. Im Netz finde der Auftritt Pfeiffers nahezu 100 Prozent Zustimmung. „Das Thema wird deutschlandweit diskutiert.“
Pfeiffers Kollegen  im Raum Ingolstadt hatten gestern  ebenfalls einigen Gesprächsstoff. „Natürlich wird das bei uns diskutiert“, sagte Heinz Rindlbacher, Leiter der Eichstätter Inspektion. „Diese Aktion verdient meine ganze Hochachtung, ich stehe voll dahinter und habe absolut Verständnis dafür. Wir kennen das Problem mit den Gaffern, wenn auch nicht so schlimm wie die Kollegen auf der Autobahn.“
Dafür – genauer gesagt für die A 9 und A 93 – ist die Verkehrspolizei Ingolstadt in der Region zuständig. Allerdings wollte deren Inspektionsleiter Jürgen Voraberger sich auf Anfrage nicht weiter äußern.

„Das ist bei uns sicher ein Thema, aber ich werde das nicht kommentieren.“ Helmut Fink, Chef bei der Pfaffenhofener Inspektion, sagte dagegen: „Der Kollege Pfeiffer  hat da sehr gut reagiert. Wir kennen das mit den Gaffern auch bei uns hier auf dem Land. Leider sinkt die Hemmschwelle immer mehr.“  Mitunter würden dabei sogar Straftatsbestände erfüllt, wie etwa die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs oder des Kunsturhebergesetzes, unterlassene Hilfeleistung, Nötigung und andere. 
„Die Leute werden von sich selbst getrieben, immer was im Netz posten zu müssen. Uns ist es aber wichtig, dass Angehörige von Opfern nicht auf diese Weise  von einem Unglück erfahren. Wir wollen die Verständigung so schonend wie möglich machen. Deshalb finde ich es spitze, dass der Kollege rigoros vorgegangen ist. Ein bisschen Erziehungseffekt gehört schon dazu“, findet Pfaffenhofens Polizeichef Fink.

Kommentar

Polizeidirektor Stefan Pfeiffer stellt nach einem tödlichen Unfall auf der A 6 schamlose Gaffer zur Rede, wütend und voller Emotionen. Er bietet ihnen an, die Leiche des Opfers aus nächster Nähe anzuschauen und Fotos zu machen. Dabei spart er nicht mit deutlichen Worten, denn in Wirklichkeit würde er niemals zulassen, dass tatsächlich jemand Bilder von dem Toten macht – er hält den Neugierigen vielmehr den Spiegel vor und beschämt sie. Der Ausraster des Inspektionsleiters auf der Autobahn mag den Überkorrekten unter uns vielleicht seines Amtes unwürdig erscheinen. Aber Polizisten sind auch nur  Menschen, Gott sei Dank, und was Stefan Pfeiffer hier getan hat, ist aller Ehren wert. Endlich mal einer, der Klartext spricht, nur das versteht die Zielgruppe. Tag für Tag sind er und seine Truppe solchen Exzessen ausgesetzt, das geht an die Nieren. Das sollten seine Vorgesetzten bedenken, wenn sie das Ganze nun einordnen. Ein Verkehrspolizist hat erreicht, dass die ganze Nation über ein drängendes Problem spricht. Jetzt ist die Politik am Zug, das Rad weiterzudrehen und endlich harte Strafen für filmende und fotografierende Gaffer einzuführen. Vielen Dank für diesen Anstoß, Herr Pfeiffer!

Horst Richter