Brunnen
Scheitert alles an 21 Zentimetern?

Deutsche Bahn macht der Gemeinde Brunnen einen Strich durch die Rechnung für den Haltepunkt

14.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:24 Uhr
Dunkle Wolken ziehen über das Gelände, auf dem der neue Bahnhaltepunkt in Brunnen schon längst gebaut werden sollte. Nun droht alles an einer Forderung der Deutschen Bahn zu scheitern. −Foto: Foto: Hofmann

Brunnen (SZ) 55 oder 76? Das ist die Frage. Für die Brunnener hängt das Glück offenbar an 21 Zentimetern. Denn derzeit geht genau wegen dieses Unterschieds bei den Bahnsteighöhen nichts weiter für ihren neuen Haltepunkt an der Paartalbahn. Ein Kompromiss ist in Sicht. Doch der wird zwischen Berlin und München verhandelt.

"Unsere Planung steht", sagt Thomas Wagner. Der Brunnener Bürgermeister kann auf die Pläne für den neuen Haltepunkt entlang der Bahnlinie zwischen Ingolstadt und Augsburg in seiner Kommune verweisen. Ein Park-and-Ride-Platz soll an der Paartalbahn entstehen. Eine barrierefreie Rampe soll die Fahrgäste auf den Bahnsteig bringen. Doch genau am Bahnsteig liegt der Knackpunkt, der Wagner den Kopf etwas ungläubig schütteln lässt.

Der neue Bahnsteig in Brunnen soll - gemessen ab dem Gleis - 55 Zentimeter hoch sein. Doch der Deutschen Bahn (DB) sind das 21 Zentimeter zu wenig. Mit Berufung auf EU-Richtlinien soll der neue Bahnhalt in Brunnen nun eine Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern aufweisen, erklärt Wagner. Darauf bestehe die DB. "Wir waren lange guter Hoffnung", blickt Wagner auf die fast zwei Jahrzehnte zurück, die es gedauert hat, den Bahnhaltepunkt in Brunnen auf den Weg zu bringen. Kurz vor dem Ziel kann Wagner es kaum fassen: "Und jetzt scheitert es an 21 Zentimetern."

Das will sich Wagner so nicht bieten lassen und hat sich daher prominente politische Schützenhilfe gesucht. Gefunden hat er sie beim Eitensheimer CSU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl, der durchaus in der Region dafür bekannt ist, dass er sich in Themen reinhängt. "Gegenüber der Deutschen Bahn, dem bayerischen Staatsministerium für Verkehr sowie dem Bundesministerium für Verkehr werde ich nun intensiv auf eine schnelle Einigung drängen, damit der Bahnhalt in Brunnen endlich realisiert werden kann."

Das Stichwort, das alles so schwierig macht, heißt Barrierefreiheit. Die, so die Münchner Pressestelle der DB in einer schriftlichen Erklärung, sei lediglich zu erreichen, wenn die Bahnsteighöhen "langfristig bundesweit vereinheitlicht werden". Das geschehe immer dann, wenn "Bahnsteige neu gebaut oder Verkehrsstationen grundlegend saniert werden". Begründete Ausnahmen seien möglich, so die DB weiter. Als Beispiel wird eine Bahnsteighöhe von 55 Zentimetern angesehen - so wie also in Brunnen geplant.

Im vergangenen Jahr, so die DB weiter, seien zwischen DB und Bundesregierung einheitliche Regeln vereinbart worden. Über die werde derzeit mit den Bundesländern und den Behindertenverbänden diskutiert. Dabei werde auch über die 55 Zentimeter hohen Bahnsteige gesprochen. "Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir den laufenden Verhandlungen nicht vorgreifen werden", schreibt die DB-Pressestelle der Schrobenhausener Zeitung auf den per E-Mail eingereichten Fragenkatalog zurück.

Da sind die Erklärungen Brandls schon eindeutiger. Derzeit läuft die Ausschreibung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) für die Paartalbahnlinie ab 2021. Der Personenverkehr soll für 20 Jahre an einen Bewerber vergeben werden. Dabei hat sich ein ganz praktisches Problem herauskristallisiert, wie Brand herausgefunden hat. Alle Bahnhöfe zwischen Augsburg-Hochzoll und Ingolstadt seien sehr alt und wiesen noch nicht mal die besagten 55 Zentimeter Bahnsteighöhe auf. Manchmal betrage die Bahnsteighöhe entlang der Paartalbahn gerade mal 26 Zentimeter. Auf dem Markt gebe es derzeit noch keine Dieseltriebwagen - die Paartalbahnlinie ist nicht elektrifiziert - mit 76 Zentimetern Einstiegshöhe, so Brandl weiter. Und die, die es gebe, dürften die Paartallinie gar nicht befahren, weil die meisten Haltestellen nicht gemäß den EU-Regeln korrekt bedient werden könnten. Das würde bedeuten, dass die Züge in Friedberg, Dasing, Obergriesbach, Aichach, Radersdorf und Schrobenhausen nicht mehr halten dürften. Deshalb, so Brandl, habe die BEG den Verkehr auf der Paartalbahnlinie mit einer Einstiegshöhe von 60 Zentimetern ausgeschrieben - "gezwungenermaßen".

Was bedeutet das nun für Brunnen? Würde der Bahnhalt in Brunnen wie von der DB gewünscht mit 76 Zentimetern Einstiegshöhe gebaut, wäre er vom ersten Tag an praktisch nicht barrierefrei nutzbar. Da das nicht im Interesse des Freistaates Bayern liegt, wird nun ein Kompromiss gesucht zwischen DB und Bundesregierung. Und der könnte so aussehen, wie Brandl skizziert: Der Bahnhalt in Brunnen wird wie geplant gebaut. Und da auch die anderen Bahnhaltestellen entlang der Paartalbahn in den kommenden 20 Jahren erneuert werden müssten, könnten die Bahnsteige im gleichen Zuge angehoben werden. "Dies ist technisch umsetzbar und lässt sich auch relativ kostengünstig durchführen", meint Brandl. "Wenn dann der Bahnsteig am neu zu bauenden Bahnhalt Brunnen zum ersten Mal erneuert wird", so Brandl weiter, "könnte man diesen auf 76 Zentimeter anheben." Und gleichzeitig könnte mit der neuen BEG-Ausschreibung für die Paartalbahn in den 2040er-Jahren an die Anschaffung einer neuen Zugflotte gedacht werden, die dann auch in der Praxis den Einstieg der Fahrgäste bei 76 Zentimetern Bahnsteighöhe ermögliche.

Jürgen Spindler