Ingolstadt
Schaut auf diese Stadt

Stadträte liefern sich leidenschaftliche Debatte über mögliche Ausweitung der Videoüberwachung

26.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:14 Uhr

Das Geschehen im Visier: Die Anschläge in den vergangenen Monaten haben viele Politiker zum Umdenken veranlasst. Auch in der Ingolstädter SPD. "Wir stehen der Videoüberwachung nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber", so Fraktionschef Werner gestern. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Sicherheitspolitik in Zeiten des Terrors: Dieses Thema bewegt enorm. Das war auch gestern im Stadtrat eindringlich zu spüren, als es um die mögliche Ausweitung der Videoüberwachung auf Einkaufszentren ging. Die Stadträte diskutierten darüber voller Leidenschaft, aber stets sachlich.

Man könnte fast meinen, Weihnachten steht vor der Tür. Plötzlich scheint im Stadtrat der Frieden Einzug gehalten zu haben. Harmonie erfüllte den Saal - stundenlang. Kein Gezänk wie meistens. Dafür Lob und Anerkennung über sonst fest verminte Parteigrenzen hinweg. Es wurde gewitzelt und einmal sogar unbefangen geblödelt, als Gerd Werding bekannte, er habe "mit Frau Peters mitten in der Stadt ein wunderbares Erlebnis gehabt"; er meinte die gemeinsame Beobachtung eines unerhörten Vorfalls von Vermüllung. Aber die kichernden Stadtratskollegen interpretierten Werdings Erzählung lieber völlig anders. "Kann bitte mal einer den Live-Stream abstellen!", rief Thomas Thöne in die allgemeine Heiterkeit. Noch mehr Gelächter. Was ist nur in den sonst oft frostig-verbiesterten Stadtrat gefahren?

Der Frieden. Ganz eindeutig. OB Christian Lösel optimierte spontan einen Antrag der SPD und erhielt dafür vom Fraktionsvorsitzenden Achim Werner wärmende Worte der Anerkennung. Einen Antrag der Grünen zur Kunst am Bau eröffnete der OB mit den Worten: "Das gefällt mir gut!" Wie solle sie da eigentlich noch fortfahren, wenn es schon so losgehe, antwortete die Grünen-Fraktionsvorsitzende Petra Kleine erfreut und fast ein wenig verlegen. So setzte sich der harmonische Reigen fort. Nach drei Stunden voller Friedfertigkeit stießen die Räte in einer Pause auf den 75. Geburtstag ihres Grandseigneurs Manfred Schuhmann an. Dies krönte das gemeinsame Glück.

Emotional debattiert wurde natürlich auch, aber stets sachlich. Das Thema Videoüberwachung birgt in Zeiten, da der Terror die Republik erreicht hat, immense Brisanz. Die CSU stellt den Antrag, prüfen zu lassen, ob es Sinn ergebe, auch Einkaufszentren, Sport- und Veranstaltungsstätten mit Kameras auszurüsten. "Denn es darf in Ingolstadt keine Angsträume geben!", argumentierte Robert Schidlmeier, der sicherheitspolitische Sprecher der Fraktion, Polizeibeamter von Beruf. "Die Sicherheit prägt auch das Lebensgefühl in unserer Stadt - unterstützt von der Zivilcourage der Bürger." Lösel hatte dem vorausgeschickt: "Uns ist klar: Videokameras ersetzen keine Planstellen bei der Polizei." Aber das eine schließe das andere nicht aus. Das Überwachungssystem sei "nur ein Baustein im Sicherheitskonzept der Stadt, nicht das einzige".

Die schrecklichen Anschläge in den vergangenen Monaten haben viele Politiker zum Umdenken veranlasst. Auch in der Ingolstädter SPD. "Wir stehen der Videoüberwachung nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber", sagte Achim Werner. "Aber man darf nicht den Eindruck erwecken, dass man die Bürger mit Kameras vor Anschlägen schützen kann!" Das sei definitiv nicht möglich. Es gelte, mit Bedacht vorzugehen, "und nicht die ganze Stadt mit Kameras zu überziehen", so der Fraktionsvorsitzende. Das werde so sicher nicht geschehen, antwortete Bürgermeister Albert Wittmann (CSU). Erst leite man ein Prüfverfahren ein.

Auch Thomas Thöne (ÖDP) setzt jetzt andere Prioritäten: "Wir müssen die Sicherheitspolitik neu denken, weil heute Dinge passieren, die man sich früher nicht vorstellen konnte." Die Bürgergemeinschaft (BGI) sperrt sich indes strikt gegen die mögliche Ausweitung der Videoüberwachung. Die Kameras erzeugten "ein vorgetäuschtes Sicherheitsgefühl - und das ist sogar gefährlich!", sagte Jürgen Siebicke. " Attentäter lassen sich davon nicht abhalten. Videokameras sind ein Signal des Misstrauens gegen die Bürger. Wir wollen keinen gläsernen Menschen!" Erwiderung Wittmann: "Das ist ein Argument der Vergangenheit." Hans Süßbauer (CSU, Kriminalbeamter im Ruhestand) bekräftigte diese Position: "Ja, Videokameras verhindern zunächst keine Terroranschläge. Aber man kann damit künftige verhindern, weil die Überwachung Mittäter und Hintermänner miterfasst." Die Bombenanschläge von Madrid im Jahr 2004 seien nur dank der Videobilder aufgeklärt worden. "Deshalb sollte man der Polizei diese Möglichkeit geben!"

Nach der Aussprache stimmten die vier BGI-Stadträte, Karl Ettinger (FDP) und Petra Volkwein (SPD) gegen den Prüfantrag zur Videoüberwachung, alle anderen sind dafür.

Das Thema holte den Stadtrat einen Tagesordnungspunkt später in einem weitaus friedlicheren Kontext wieder ein: Als Gerd Werding (FW) zum Besten gab, was er mit seiner Kollegin Veronika Peters (SPD) im Herzen der Stadt Aufregendes erlebt hat, nämlich Mitbürger, die völlig unbefangen alles zumüllen. Vor allem auf der Theresienstraße schaue es morgens oft richtig schlimm aus. Werding: "Kann man da nicht mal eine Kamera aufstellen"