Nürnberg
Scharf, schärfer, Kollodium

Wider die perfekten Pixelwelten des Digitalen: Peter Kunz arbeitet an der Renaissance der Fotografie

08.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:29 Uhr

Nicht nur die Bilder umweht der Hauch des Geheimnisvollen: Auch die Entstehung, die verwendeten Chemikalien und die Apparaturen muten wie ein Mischung aus Zeitreise, Giftküche und Surrealismus. Das Porträtbild oben zeigt im Übrigen den Künstler selbst - Fotos: Pelke

Nürnberg (HK) Mit einer Technik aus dem 19. Jahrhundert gelingen dem Nürnberger Fotografen Peter Kunz superscharfe Bilder. Mit seinen Kollodium-Fotos sagt er der Pixelwelt den Kampf an und arbeitet mit der alten Technik an nichts weniger als der Renaissance der Fotografie.

Das Atelier gleicht einer Alchemistenkammer. Überall stehen Flaschen mit obskuren Flüssigkeiten und Namen herum. Ohne Schutzbrille und Kittel arbeitet Peter Kunz nicht in seinem großzügiges Atelier im ehemaligen Quelle-Gebäude. „Ich koche mir die Chemie selber zusammen, weil ich von A bis Z der Herr über meine Fotos sein will“, sagt der Mann in Schutzmontur und gießt eine durchsichtige Flüssigkeit vorsichtig in ein braunes Fläschchen. „Das ist Kollodium. Das ist eine Mischung aus Schießbaumwolle, Ether und Alkohol.“ Das Zeug kennt man aus der Medizin. Kunz will aus dem „Sprühverband“ gleich ein Foto machen.

Die alchemistische Technik hat er aus dem 19. Jahrhundert ausgegraben. Nicht um der fotografischen Historie zu huldigen, sondern um expressis verbis moderne Fotokunst damit zu machen. Die ganze Sauerei im Labor nimmt er auf sich, weil „die Kollodium-Fotografie qualitativ viel besser ist“ als alles was die moderne Pixelwelt leisten könne. Kunz arbeite an einer Renaissance der Fotokunst, wie er sagt.

Jetzt gießt der Künstler die leimige Kollodium-Mischung auf eine dunkle Metallplatte. „Die Lösungsmittel Ether und Alkohol verdunsten gleich“, erklärt der Profifotograf. „Auf der Metallplatte bleibt nur eine ganz dünne Baumwollschicht übrig, die ich jetzt noch in Silbernitrat bade. Dann ist die Platte lichtempfindlich“, sagt Kunz und entledigt sich der schwarzen Schutzhandschuhe. Nach dieser alchemistischen Prozedur ist die Metallplatte endlich fertig zum Belichten. Warum dieser Aufwand? Ist das nicht anachronistisch: Schmutzige Chemikalien im Zeitalter der sauberen Pixel?

„Ich habe die perfekten Bilderwelten des Digitalen einfach satt.“ Die moderne Pixelfotografie gleiche einer Kunst ohne Ecken und Kanten. Überall grassiere der Schönheitswahnsinn aus dem Photoshop. Kunz hat nach Auswegen aus dem digitalen Dilemma gesucht und ist bei der archaischen Fototechnik fündig geworden. „Diese geheimnisvolle Aura der Kollodium-Bilder hat mich sofort fasziniert“, sagt Kunz und erzählt, wie sich die Menschen auf seinen Aufnahmen wie durch eine „Poesiemaschine“ verwandeln. „Ich warne die Leute immer vor dieser Verwandlung, bevor ich sie auf Kollodium festhalte, weil tatsächlich eine Transformation stattfindet.“

Auf seinen Fotos sehen die Menschen tatsächlich surreal aus. Wie eine Phantasmagorie aus einer anderen Welt. Das kommt nicht von ungefähr. Mit der umständlichen Technik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts erreichten berühmte Fotopioniere wie Frederick Scott Archer und Gustav Le Grey ab 1850 Aufnahmen von „beeindruckender, fast dreidimensionaler Plastizität mit einer unglaublichen Schärfe und Auflösung“. Das Medium schlug ein wie eine Bombe.

Jetzt steckt Kunz die Kollodium-Platte in die großformatige Kamera. Dann nimmt er den Objektivdeckel ab und drückt damit praktisch auf den Auslöser. In der Dunkelkammer holt er die belichtete Kollodium-Platte aus der Kassette und übergießt sie mit einer Eisensulfatlösung. Im roten Schein der Lampe kommt ein Bild von sagenhafter Plastizität und Tiefe langsam zum Vorschein. Diese Qualität sei nur durch die hauchdünne Trägerschicht auf der Metallplatte möglich. Die späteren Schwarz-weißfilme mögen praktischer zu handhaben gewesen sein – an die Detailgenauigkeit des komplizierten Kollodium-Verfahrens würden die Bilder nicht herankommen. „Die Schärfe ist einfach über alles erhaben“, sagt Kunz. Vor dem dunklen Hintergrund der Metallplatte erscheinen die weniger belichteten Stellen schwarz. Weiß wirken hingegen die Stellen, wo das Licht das Kollodium in graues Silber verwandelt hat.

„Das Medium ist die Botschaft“, sagt Kunz in Anlehnung an den Medientheoretiker Marshall McLuhan und begutachtet sein neuestes Werk. Wichtig ist nicht mehr nicht nur die Ikonographie, sondern das Foto selbst. „Bei dem Prozess entstehen Artefakte, die wie Kometen und Austern ausschauen.“ Jedes Mal ist Kunz fasziniert von diesem geheimnisvollen Entstehungsprozess des Bildes. Kunz hält keinen Fotoabzug, sondern ein Unikat in den Händen. Das genau fasziniert ihn daran. Dass ein einziges Objekt entsteht, dass nicht verändert und vervielfältigt werden kann. Damit befreit er das Foto aus dem Gefängnis der Nachbearbeitung und Beliebigkeit. Freilich war auch Kunz verblüfft, als er vor zehn Jahren die ersten Kollodium-Aufnahmen in den Händen hielt. „Ich war damals in Venedig. Ich hatte noch nie ein so hochauflösendes Foto gesehen. Und das auf einem Bild, das vor 150 Jahre geschossen wurde. Seitdem hat mich die Technik nicht mehr losgelassen.“