Herr
"Schach ist unerbittlich"

18.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:48 Uhr

 

Herr Blodig, nach Meinung vieler Menschen ist Schach kein Sport. Wie lautet Ihr Gegenargument

Martin Blodig: Rein offiziell gesehen gibt es einen Katalog an Kriterien, die eine Sportart erfüllen muss – und danach ist Schach ganz klar ein Sport. Man merkt das auch, denn Schach kann sehr stressig sein, der Puls steigt und es benötigt Ausdauer. Klar ist es ein Denksport und man kommt in der Regel nicht so sehr ins Schwitzen – wobei man durchaus ins Schwitzen kommen kann, wenn die Stellungen entsprechend schwierig sind. Formel-1-Fahren ist ja auch Sport, weil es eine gewisse körperliche Belastung ist.

Formel-1-Fahrer müssen zumindest körperlich extrem fit sein.

Blodig: Das ist aber auch im Schach eine Frage des Niveaus. Meistens sind die guten Schachspieler auch körperlich fit. Wenn man an einem Turnier mehrere Partien hintereinander spielen will und mehrere Stunden geistig da sein muss, setzt das eine gewisse Fitness voraus. Ein Langschachpartie dauert länger als jede Schulaufgabe, die man jemals geschrieben hat. Und auch beim Schnellschach kommt man auf eine Spielzeit von mehreren Stunden am Tag.

Wie sind Sie zum Schachspielen gekommen?

Blodig: Schon meine Eltern haben sich bei einer Bayerischen Schachmeisterschaft kennengelernt, auch meine älteren Geschwister haben alle Schach gespielt. Meine Mutter hat in der Küche Jugendtraining gegeben. Dann war es nicht schwer, dass ich auch damit anfange.

Können Sie sich an Ihr erstes Schachspiel noch erinnern?

Blodig: Nicht wirklich, das war wohl irgendwann daheim bei uns am Küchentisch. Ich war vier oder fünf Jahre alt. Mein erstes Turnier habe ich mit sieben oder acht Jahren gespielt. Die erste Bayerische Meisterschaft war dann die U-9-Meisterschaft.

Wie oft spielen Sie Schach in der Familie?

Blodig: Wir spielen neunmal im Jahr Mannschaftskämpfe, außerdem freitagabends im Training. Früher hatten wir auch unter der Woche Training und auch zwischendurch mit den Geschwistern gespielt.

Warum fasziniert Sie das Schachspiel?

Blodig: Auch wenn Schachspielen geistig eine sehr hohe Belastung ist, kann ich dabei von allem anderen abspannen. Weil man den Kopf freibekommt und so sehr mit der Partie beschäftigt ist, dass man alles andere vergisst.

Was steht für Sie im Vordergrund: der Nervenkitzel oder das Gewinnen?

Blodig: Man gewinnt schon gerne (lacht). Das ist wie beim Fußball: Wenn man nur ein bisschen rumbolzen will, ist es nicht ganz so wichtig zu gewinnen. Aber wenn man ein Turnier spielt, will man immer gewinnen, das gehört dazu.

Auf was kommt es beim Schnellschach an?

Blodig: Man muss mit der Zeit haushalten können. Auf der Schachuhr läuft sie herunter. Innerhalb dieser Zeit muss man fertig werden, sonst verliert man. Wenn man am Ende kaum mehr Zeit hat, muss man quasi jede Sekunde ganz schnell einen Zug machen. Dadurch kann man nicht mehr nachdenken und spielt nur noch spontan. So kann man schnell etwas übersehen und verliert deswegen leichter. Das ist sogar noch wahrscheinlicher, als dass man gegen die Zeit verliert.

Viele Schachpartien werden im Fernsehen übertragen. Kann man dadurch etwas lernen?

Blodig: Wenn ich nur zuschaue, ist es schwierig, das nachzuverfolgen. Es hilft vielmehr, Bücher zu lesen, in denen Partien von Großmeistern kommentiert sind. So versteht man, wieso er die Züge gespielt hat, was er damit bewirken wollte und welche Ideen dahinter steckten. Das ist wie bei einer Taktikanalyse im Fußball, bei der man sich Spielzüge abschauen kann.

Wie trainieren Sie?

Blodig: Nach Mannschaftskämpfen werden die Partien analysiert. Dabei schaut jeder, was er beim Spiel des anderen besser gesehen hätte. Und wenn man mit ein bisschen Abstand selbst noch einmal auf seine Partie schaut, sieht man auch noch andere Möglichkeiten. So kann man die allgemeine Strategie des Spielaufbaus verbessern. Wenn man genau wissen will, ob es besser gegangen wäre oder nicht, gibt es auch Programme. Da gibt man die Partie ein und sie wird analysiert.

Wiederholen sich Schachspiele?

Blodig: Man hat seine gewisse Standarderöffnung, deshalb sieht der Anfang vieler Partien relativ gleich aus. Vereine haben logischerweise oft gleiche Eröffnungen, so kommt ein ähnlicher Spielaufbau zustande. Aber dass die Partie wirklich gleich verläuft, ist äußerst selten, weil eben doch irgendjemand irgendwann irgendetwas anderes spielt. Mir würde das auch nicht auffallen, so weit habe ich meine Partien nicht im Kopf.

Wie lange dauerte Ihre längste Partie?

Blodig: Fast sechs Stunden. Das war auf einer Oberpfälzer Seniorenmeisterschaft. Es war am Nachmittag und ich hatte am Vormittag schon eine Partie über fünf Stunden gespielt. Das heißt, ich spielte elf Stunden Schach an dem Tag.

Welches Gefühl hat man danach?

Blodig: Wenn es nach so langer Zeit nicht zum Sieg reicht, ist das natürlich bitter. Wobei das stark davon abhängt, wie die Partie verläuft. Wenn ich zwischendurch gut stehe und dann nach sechs Stunden verliere, ist es schlimmer, als wenn ich von Beginn an keine große Chance auf den Sieg hatte. Schach ist da ziemlich unerbittlich. Wenn ich mir beim Fußball den Ball mal selber ins Tor schieße, aber dennoch die überlegene Mann-schaft bin, kann ich noch gewinnen. Beim Schach muss der Gegner schon ziemlich schlecht sein, wenn ich dann trotzdem gewinne. Kleine Fehler ziehen sich bis zum Ende durch.

Ist das der Vorteil des Schnellschachspiels?

Blodig: Ja. Wenn ich nach einer fünfstündigen Langschachpartie verliere, ist das natürlich extrem deprimierend. Beim Schnellschach spielt man mehrere Partien pro Tag, dann ist eine Niederlage nicht ganz so schlimm.

Wie begeistert man Kinder mit dem Schachspiel?

Blodig: Im Anfängerkurs gibt es kleine Spielchen, mit denen man langsam die Figuren aufbaut. Kleine Kinder fasziniert vor allem die unglaublich große Zugmöglichkeit. Was man allerdings gleich wieder einschränken muss, denn ein kleines Kind ist schnell überfordert, wenn es so viele Auswahlmöglichkeiten hat. Das Problem ist, dass fast jedes Kind mal eine Phase hat, in der es keine Lust auf Schach hat. Da habe ich es als Jugendleiter schwer, wenn das Kind dann nicht mehr regelmäßig ins Training kommt.

Hatten Sie nie so eine Phase?

Blodig: Es gab Phasen, in denen ich keine Lust hatte, ins Training zu gehen. Allerdings waren da meine Eltern schon dahinter, wahrscheinlich stärker als bei anderen. Aber Zeiten, in denen ich gar nicht spielen wollte, gab es nie, weil es im Vergleich zum Fußball auch nicht jedes Wochenende eine Partie gibt, sondern nur neunmal im Jahr. Das ist überschaubar und erlaubt, auch noch Anderes zwischendurch zu machen.