Ingolstadt
Salute, amici!

Die Freundschaft mit der Stadt in der Toskana ist nach einem halben Jahrhundert vielen ein Herzensanliegen

13.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:23 Uhr

 

Ingolstadt (dk) Es war eine festliche, richtig freundschaftliche Stunde am Vormittag dieses 2. Juni 1962 im fahnengeschmückten Rathaussaal von Carrara. Sindaco Filippo Martinelli und Oberbürgermeister Dr. Josef Listl besiegelten eine der ersten Städtepartnerschaften im damals noch lange nicht einigen Europa. Um, wie es im Vertragstext steht, „sich am heutigen Tage feierlich zu verpflichten, die ständigen Bande zwischen den Verwaltungen unserer beiden Städte zu bewahren, auf allen Gebieten den Austausch ihrer Bewohner zu fördern, um so im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten und Mittel zum Erfolge des Friedens und der Freiheit beizutragen.“

Hehre Worte, aufrichtig gemeint, auch als Vorgabe für nächste Generationen gedacht. Im einst verfeindeten Europa rückte man mehr und mehr zusammen, die freundschaftlichen Kontakte zwischen Kommunen waren eine Basis dafür. Der Pakt Ingolstadt-Carrara funktionierte dann auch recht gut nicht nur zwischen den Rathäusern, sondern auch vielen Vereinen und Verbänden.

Die Nachfolger der beiden Vertragsunterzeichner Martinelli und Listl trugen zur Festigung und zum Ausbau der Städteverbindung erheblich bei. Erst OB Otto Stinglwagner und dann drei Jahrzehnte lang Peter Schnell, auf der anderen Seite Sauro dalle Mura oder Sebastiano Puccinelli; sie alle hielten diese vielfach als beispielhaft gewertete Partnerschaft auf hohem Niveau.

Angefangen hatte es schon 1954, als der damalige SPD-Jungstadtrat und europäische Föderalist Werner Pößl durch die Toskana radelte. Mit dem Auftrag von seinem OB Josef Strobl, sich nach einer möglichen Partnerstadt umzusehen. In Carrara wurde Pößl samt Begleitung vom dortigen Bund Europäischer Jugend herzlich aufgenommen. „Da hat es uns sofort gefallen“, ist als sein erster Eindruck überliefert.

Auch zu Hause gefiel das sofort. Zumal die Nennung Ingolstadts in einem Zug mit dem durch seinen Marmor weltberühmten Carrara nur gut sein konnte. Man ging auf Tuchfühlung, schon im Herbst 1955 kamen Kunstmaler aus Carrara mit einer Ausstellung in das Ingolstädter Schloss, im Jahr darauf waren Ingolstädter Werke in der Accademia di Belle Arti in Carrara zu sehen. Es war nur der Anfang.

Im März 1956 zum Oberbürgermeister gewählt, interessierte sich Josef Listl für die Stadt am Mittelmeer und sah sich persönlich dort um. Es gefiel ihm sehr, der urbane Flirt entwickelte sich zu einer Art Verlobungsphase. Diese dauerte allerdings sechs Jahre, bis sich ein gewiefter Apotheker der Sache annahm. Es war der ehrenamtliche Bürgermeister Filippo Martinelli, der zur Einweihung des neuen Rathauses von Carrara den Kollegen Listl aus Ingolstadt einlud.

In der Schublade hatte Martinelli den vorgefertigten Partnerschaftsvertrag. Den Ingolstädter OB Listl, auch ein alter Fuchs, schien er damit nicht zu überraschen, denn der unterschrieb, als wär’s abgesprochen gewesen. Dabei wäre es doch beinah schiefgegangen, denn die Ingolstädter hatten eine Verspätung von vier Stunden. Es gab noch keine durchgehende Autobahn. Erst 1975 kam man sich auch verkehrsmäßig näher, als sich die Fahrzeit von rund 14 Stunden durch die neue Autobahn Parma – La Spezia um sechs Stunden verkürzte.

Der Gemellaggio, wie Partnerschaft italienisch heißt, hat als Ursprung Gemello (Zwilling). Die nunmehrigen Zwillinge knüpften die Verbindung immer fester. Nicht nur in den Rathäusern, Jugendorganisationen, Schulen, Vereinen, Verbänden und unter Künstlern wuchs man zusammen, auch private und familiäre Kontakte entstanden.

Das lief oft wie am Schnürchen: So (nur ein Beispiel) 1963 mit den 70 Schülern des Gymnasiums Liceo Classico, die sich eine Woche lang an Ingolstadt begeisterten. Die gegenseitigen Besuche rissen nicht mehr ab. Neuer Schwung kam 1966, als Otto Stinglwagner und Sauro dalle Mura nachrückten. Der Ingolstädter OB gründete ein Partnerschaftskomitee, Jugendreisen wurden bezuschusst, Industrie und Handel nahmen Werkstudenten auf.

Die Kontakte mit Ingolstadt seien ihm zu locker, ließ Bürgermeister dalle Mura aus Carrara hören. Er erwies sich als uneingeschränkter Förderer der Partnerschaft. Urlauber aus Ingolstadt bekamen 20 Prozent Hotelrabatt in Carrara. Die Kultur stieg immer wieder ein, einer Ausstellung folgte die nächste Präsentation. Die Ingolstädter Schäffler tanzten („Owa heit is koit“) in Carrara und der Coro Monte Sagro sang sein „La Montanara“ in Ingolstadt.

Als spektakuläre Steigerung wird ab 1974 jährlich das Bierfest, die Sagra della birra, in Carrara gefeiert. Mit sagenhaftem Besuch aus der nördlichen Toskana mit bis zu 25 000 Tagesgästen. In guter Erinnerung blieb zum Beispiel der Jubiläumsfestzug 1990 mit weit über 50 Gruppen, davon 500 Trachtler, Schützen und andere Vereine aus dem Raum Ingolstadt.

Es folgte 1982 das Carrara-Weinfest erst auf dem Rathausplatz, dann auf dem Paradeplatz. Gut angekommen und angenommen war es stets auch sehr frequentiert, wenn denn das Wetter passte. Auch auf höherer Ebene knüpften sich Verbindungen wie der Studentenaustausch zwischen der Accademia di Belle Arti in Carrara und der Akademie der Schönen Künste in München, initiiert vom damaligen DK-Herausgeber Dr. Wilhelm Reissmüller.

Vor allem auch viele Namen sind unvergesslich mit Ingolstadt-Carrara verbunden. Das sind die Gründerväter Filippo Martinelli und Josef Listl, nachrückend die begeisterten „Zwillinge“ Sauro dalle Mura und Peter Schnell, Dutzende in der Reihe dahinter wie Fritz Kroll oder Erich Koch.

Außer dem „Erkunder“ Werner Pößl gebührt noch einem die Hervorhebung: Es ist Mario, dessen Familiennamen Giuntone viele Ingolstädter nicht kennen, sein Gesicht dafür umso mehr. Von der ersten Stunde an als Dolmetscher zur Stelle, ein Pfeiler der Beziehung bei offiziellen oder auch privaten Treffen. Natürlich gibt es nette Anekdoten oder Geschichtchen wie jene mit der Bürgermeistersgattin aus Ingolstadt, die mit den Kommunisten deren Internationale sang. Nicht so tragisch, hieß es dazu. Sonst hätten die Ingolstädter CSU-Oberen ja auch „Pfui Deife“ sagen müssen, wenn sie von einem Kommunisten aus Carrara abgebusselt wurden. Tiefschwarz oder knallrot, nicht nur beim „Cincin“ verklärte sich vieles, weil, so formulierte es vor zehn Jahren ein roter Bürgermeister Costa: „Das ist die beste Partnerschaft der Welt.“

Heuer, zum 50. Jahrestag der Verbriefung der Städtepartnerschaft, eigentlich ein guter Anlass zum Nachdenken, ob dies der Bürgermeister von Carrara wiederholen würde. Wie wir ihn kennen: No! Mit dem partnerschaftstreuen Peter Schnell sei, so wird allgemein bedauert, auch die offizielle Städteverbindung mehr und mehr in den Ruhestand gegangen.

Belebt wird sie nun zum Ende des Weinfestes. Aus Carrara ist für Freitag Bürgermeister Angelo Zubbani mit einer Delegation angekündigt. In Ingolstadt soll auf die 50 Jahre Partnerschaft angestoßen werden.