Wolferstadt
Sabotage ohne Botschaft

05.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:44 Uhr
Nebel über einem Maisacker in Wolferstadt (links). Die Idylle mit der Pfarrkirche St. Martin im Hintergrund ist derzeit trügerisch. Metall im Mais ist brandgefährlich. Ein Landwirt Im unterfränkischen Gerolzhofen entdeckte gerade noch rechtzeitig eine große Schraube, die an einen Maisstängel gebunden war (rechts). −Foto: Auer/Polizei Unterfranken

Wolferstadt (DK) Es ist eine heimtückische Methode, unter Landwirten Angst und Schrecken zu verbreiten: Unbekannte beschädigen seit Jahren immer wieder teure Erntemaschinen, indem sie Metallstücke in Maisäckern verstecken. Fälle gibt es in ganz Deutschland. Jetzt trifft es zum wiederholten Mal Bauern im Juradorf Wolferstadt im Kreis Donau-Ries.

Nein, in diesem Jahr hat er wirklich überhaupt keine Lust mehr, mit den Medien zu sprechen. Der 61-jährige Landwirt aus Wolferstadt im Landkreis Donau-Ries schüttelt den Kopf, seine Gattin, die am Hauseingang hinter ihm steht desgleichen. Es reicht schon, was damals vor genau zwei Jahren los war im Dorf. Radioreporter und Zeitungsredakteure berichteten. Im Magazin "quer" im Bayerischen Fernsehen kam Wolferstadt in voller Länge. Und was hat es geholfen? Gar nichts. Hat man damals den Maisfeld-Attentäter gefunden? Nein. Drei riesige, sündteure Maishäcksler waren damals beim Einsatz rund ums Dorf durch Edelstahlstangen schwer beschädigt worden - ein Unbekannter hatte das Metall heimtückisch in verschiedenen Äckern mehrerer Bauern platziert. Letztes Jahr blieb alles friedlich, in Wolferstadt atmete man auf. Und jetzt: Es ist wieder passiert.

Der Bauer, der da in der Haustüre steht, hat noch 50 Hektar ungeernteten Mais draußen stehen, da will er jetzt lieber nicht noch weitere Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich ziehen. Heuer erst hat er "auf Mietbasis" einen riesigen, knapp 500000 Euro teuren Maishäcksler angeschafft, zusammen mit einem Berufskollegen aus dem Nachbardorf. Beide betreiben sie große Biogas-Anlagen. Und jetzt war letzte Woche aus heiterem Himmel wieder ein Metallstück in einem Maisfeld versteckt. Man muss die Technik dieser Maschinen nicht im Detail verstehen. Nur so viel: Das Stahlstück zerfetzt die Messer der Maschine, die feinen Messertrümmer demolieren dann den dahinter liegenden "Cracker". Kurzfassung: "Es tut einen Bumser, und dann ist Feierabend." Gesamtschaden: wohl 50000 Euro.

"Da kann was ganz Blödes passieren - dass einer tot ist", sagt der Bauer, der dann schließlich doch ins Wohnzimmer bittet. Wie er erklärt, fliegen die zerschredderten Metallteile durch den Häcksler wie Stahlgeschosse. Sie könnten jederzeit den Maschinenführer treffen. Oder den Bauern, der mit Traktor und Wagen parallel neben dem Häcksler her fährt. Jetzt in den Ferien fahren da gerne auch die Kinder auf dem Bulldog mit.

Wie geht es jetzt weiter? Von den 200 Hektar Mais des Bauern steht noch ein Viertel draußen. Um das "gefährdete Gebiet" macht er erst einmal einen Bogen, hat sich eine Fläche am anderen Rand des Gemeindegebiets vorgenommen. Aber am Schluss muss er doch wieder in den Acker, der ihm die Maschine ruiniert hat. Ist da noch eine weitere Stange, oder war es das? Reine Nervensache.

Die Sache mit der Sabotage ist leider nicht lokal beschränkt. Es ist ein seit Jahren wiederkehrendes Phänomen in ganz Deutschland, zum Beispiel in Hessen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern: Wenn die Landwirte ihre Maisfelder abernten, müssen sie immer auch mögliche Anschläge fürchten.

Das Ziel der Attacken ist offensichtlich, die teuren Erntemaschinen zu demolieren. Es ist pures Glück, dass es noch keine Verletzten gab. Über das Motiv herrscht unterdessen Rätselraten, denn bisher wurde noch keiner erwischt. Sind die Täter militante Naturschützer oder etwa Konkurrenten der geschädigten Landwirte? Oder hat da jemand ein psychisches Problem, wie man es von brandstiftenden "Feuerteufeln" kennt?

Für die Beamten der Polizeiinspektion in Donauwörth war es jedenfalls ein Déjà-vu, als vor wenigen Tagen wieder Bauern wegen zwei Anschlägen auf ihre Maishäcksler Anzeige erstatteten. "Es geht wieder los in Wolferstadt", kommentiert Hauptkommissar Magnus Kastenhofer trocken und erinnert an die Serie von Maisfeldanschlägen im Herbst 2016 rund um den 1100-Seelen-Ort. Trotz umfassender Ermittlungen wurde kein Verdächtiger geschnappt. Im vergangenen Jahr sei es dann aber ruhig gewesen, erzählt der Polizeisprecher. "Möglicherweise fühlt sich der mutmaßlich gleiche Täter wieder sicher genug, um seine Anschlagsserie wieder aufzunehmen", vermutet Kastenhofer. Seine Kollegen von der Nürnberger Polizei ermitteln aktuell wegen einer Serie mit acht Fällen und einem Gesamtschaden von 120 000 Euro. Auch im Allgäu wurden heuer wieder Schraubenanschläge gemeldet, nachdem es 2017 im Raum Buchloe eine Serie mit zehn Fällen gab. Einen weiteren Fall meldete die Polizei am vergangenen Montag: In Gablingen bei Augsburg entdeckte am Wochenende eine Spaziergängerin eine Tüte mit Metallteilen an einer Pflanze, bevor das Feld abgeerntet wurde und Schaden entstehen konnte.

Die Polizei vermutet, dass hinter diesen Taten Menschen stecken könnten, die grundsätzlich etwas gegen den Maisanbau haben. Florian Wallner vom Polizeipräsidium Schwaben Süd/West in Kempten sagt, dass schließlich schon lange die "Vermaisung der Regionen" kritisiert werde. Andere finden es schlecht, dass der Mais oftmals als Rohstoff für Biogasanlagen und nicht für den Ernährungskreislauf genutzt wird. "Aber wir können es nicht genau sagen, was das Motiv der Täter ist", räumt Wallner ein. Die Industrie hat längst auf die Sabotage reagiert, in neue Erntemaschinen werden Metalldetektoren eingebaut. Dann kann der Häcksler in höchster Not stoppen, bevor eine Schraube in die Technik gerät. Doch nicht alle Fremdkörper - so auch die Edelstahlstangen von Wolferstadt - werden durch die Detektoren erkannt. Der betroffene Bauer hofft, dass die Forschung da endlich vorankommt: "Das müsste man doch hinkriegen - wenn man in den Weltraum fliegen kann."

Eine Möglichkeit die Täter zu schnappen sieht er darin, dass Bauern an ihren Äckern Wildkameras montieren - doch dies ist rechtlich kaum möglich. Die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Stellen ist in Deutschland nur in Ausnahmefällen erlaubt. Und der betroffene Bauer aus Wolferstadt fragt sich schlicht, wie er denn über 200 Hektar Maisfläche überwachen könnte.

Der Verbandschef sieht nicht immer Agrargegner als potenzielle Täter an. Sie könnten auch aus der Branche kommen. "Sowas ist vorstellbar", sagt auch Oberstaatsanwalt Marcus Röske zu der Theorie, dass Konkurrenten die Metallteile im Mais verstecken. Seine Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Verden ermittelte gemeinsam mit der Kripo seit 2010 wegen mehr als 50 Anschlägen in der Umgebung von Diepholz, deren Schaden sich auf 800 000 Euro addierte. Sogar das Landeskriminalamt in Hannover war eingebunden. Im Juni konnte die Polizei in Verden einen der seltene Erfolge vermelden. Es gab eine große Razzia auf einem Bauernhof und einen Verdächtigen. Doch der Fall nahm eine dramatische Wendung. Röske äußert sich deswegen zu den Ermittlungsergebnissen nicht mehr. "Der Beschuldigte ist verstorben", sagt er lapidar.

Wer immer aber in und um Wolferstadt sein Unwesen treibt: Er ist quicklebendig. Und keiner weiß, was ihn umtreibt. Wolferstadts Bürgermeister Philipp Schlapak, der bei den Fällen vor zwei Jahren intensiv mit der Polizei zusammengearbeitet hat, sagt: "Man hat damals nichts über das Motiv herausgefunden, und so ist das heute auch." Will der Saboteur etwa einen Lohnunternehmer treffen, der den Mais im Auftrag erntet? Möglich, aber es waren immer auch Bauern betroffen, die die Ernte selbst vornehmen. Will der Täter einem speziellen Landwirt oder Flächenpächter schaden? "Dafür war die Streuung zu breit", stellt Schlapak klar. Radikale Naturschützer sind im Juradorf Wolferstadt auch noch nie in Erscheinung getreten, nicht mal ansatzweise habe man im Dorf Stimmen der Tonart "der Scheiß-Mais!" vernommen, sagt der Bürgermeister. Die Polizei habe ihre Hoffnung schließlich darauf gesetzt, ein unbeschädigtes Original-Metallstück in einem Acker zu finden, als Trüffel fürs Labor. Also organisierte Schlapak für die Donauwörther Polizei eine Suchaktion der Freiwilligen Feuerwehr in Maisfeldern - leider Fehlanzeige.

Damals stand das ganze Dorf Kopf, Wolferstadt war, wie der Bürgermeister schildert, "im Aufruhr". Dieses Mal ist es ruhiger, weil die Ernte sich in diesem Jahr lange hinzog und die meisten Bauern schon fertig sind. Aber kalt lässt die Sabotage niemanden. Schlapak: "Das ganze Dorf diskutiert und rätselt und schimpft - aber keiner weiß etwas." Doch selbst wenn man eines Tages den Fall klären könnte, hat der Bürgermeister Zweifel, ob der Spuk aufhören würde. Man müsste immer fürchten, dass sich da ein Nachahmer findet, warnt er. Was immer der damit bezwecken will.

DK/dpa