Kelheim
Rot und unbeugsam

29.09.2011 | Stand 03.12.2020, 2:21 Uhr

Roter Wein und rote Blazer: Diese Flasche, die mit dem Konterfei der frisch gebackenen SPD-Landtagsabgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (links) geschmückt ist, schenkte deren engste Mitarbeiterin Ingrid Roithmeier vor 20 Jahren ihrer Chefin anlässlich deren Einzuges in den Landtag. Zum Jubiläum wurde das gute Stück wieder entdeckt - Foto: Rast

Kelheim (DK) Sie hat sich nie mit Ungerechtigkeit abgefunden – nicht einmal mit der Armut, die es ihrer Familie verwehrte, sie auf das Gymnasium zu schicken. Sie hat sich nie verbiegen lassen – nicht einmal von der Partei, die für sie wie eine Familie ist.

Sie hat ihre bayerische Heimat und Sprache nie verleugnet – nicht einmal in der weitgehend dialektfreien Schickimicki-Hauptstadt München, wo sie als Landtagsabgeordnete in den höchsten politischen Kreisen verkehrt. Seit genau 20 Jahren sitzt Johanna Werner-Muggendorfer für die SPD im Maximilianeum. Gestern zog die „Rote Johanna“ eine sehr persönliche Bilanz.

Es war der Neustädterin Bauerndearndl nicht an der Wiege gesungen, dass sie eines Tages als stellvertretende Fraktionsvorsitzende zu den wichtigsten Sozialdemokratinnen im Freistaat zählen würde. „Du heiratest eh“, pflegt der Vater zu sagen und lehnt den Wunsch der Tochter nach einer höheren Schulbildung ab. Ein Nein, das die bildungspolitischen Überzeugungen von Johanna Werner-Muggendorfer bis heute prägt.

Nach der Mittleren Reife an der Abensberger Realschule lernt sie Bibliothekarin und später Kindergärtnerin. Im Jahr 1972 tritt sie in die SPD ein. Juso und ein loses Mundwerk – mit diesen Voraussetzungen ist in den vielen katholischen Kindergärten in der Region keine Stelle zu bekommen. So findet sich in einem städtischen Kindergarten in Regensburg ein Job, wo Johanna Werner-Muggendorfer zur Leiterin aufsteigt.

Im Jahr 1990 kandidiert sie auf Platz drei der sozialdemokratischen Liste für Niederbayern erstmals für den Landtag. „Ich bin untergegangen“, erinnert sie sich. An ein Mandat für München sei nicht zu denken gewesen. Doch nur ein Jahr später passiert Unvorhersehbares. Den CSU-Landrat des Kreises Dingolfing-Landau segnet das Zeitliche. „Was geht mich das an“, wundert sich Werner-Muggendorfer damals im Gespräch mit einer Genossin. „Der war von der CSU, da brauche ich ja nicht einmal eine Trauerkarte zu schreiben.“

Doch dann ereignet sich eine Sensation. Der damalige SPD-Landtagsabgeordnete Heinrich Trapp kandidiert im kohlschwarzen Niederbayern gegen vier andere Kandidaten, und gewinnt im ersten Durchgang. Die SPD-Nachrückerin heißt Johanna Werner-Muggendorfer. „Ich war über Nacht im Landtag“, wundert sie sich noch heute. Das Bauerndearndl, wie sie sich selbst gerne nennt, erhält folgerichtig einen Sitz im Landwirtschaftsausschuss. „Das war sehr interessant, denn alle Entscheidungen haben mit unseren Lebensgrundlagen zu tun.“ Später folgen Tätigkeiten im Bundes- und Europaausschuss sowie im wichtigen Bildungsausschuss.

Die ehrgeizige SPD-Politikerin will sich mit einem Hinterbänkler-Dasein nicht zufrieden geben. „Ich suche stets neue Herausforderungen.“ Ministerämter sind für die SPD-Abgeordneten aufgrund der jahrzehntelangen CSU-Dominanz unerreichbar. Doch Werner-Muggendorfer gelingt innerhalb ihrer Fraktion der Sprung ins Amt der stellvertretenden Vorsitzenden. „Ich konnte die Geschicke der Fraktion mit lenken und Arbeiten koordinieren.“

Oft muss sie in der von herben Wahlniederlagen gebeutelten Fraktion den „Kümmerer spielen“. Den strapaziösen Job der Vize-Vorsitzenden gibt sie erst vor wenigen Monaten auf. „Obwohl ich nun keine herausgehobene Stellung mehr habe, finde ich bei den Kollegen noch immer Gehör“, freut sie sich.

Einen Sprung in den Bundestag habe sie nie angestrebt, betont Werner-Muggendorfer. „Ich will den Leuten nahe sein, und regionale Themen aufgreifen.“ Ihre Heimatverbundenheit demonstriert sie auch mit ihrem unverfälschten niederbayerischen Dialekt. „Ich bringe die Stenografen im Landtag manchmal ganz schön in Schwierigkeiten – aber die Menschen verstehen mich.“ Höhepunkt sei ihre bayerische Ansprache zur Verabschiedung des früheren CSU-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber aus dem Maximilianeum gewesen. „Danach kam Stoiber zu mir und würdigte meine hintersinnige Rede.“

Werner-Muggendorfer ist auch nach fast 40 Jahren stolz, der SPD anzugehören, „auch wenn ich nicht immer mit allem in der Partei einverstanden bin“. Es ärgert sie maßlos, dass Bayern und die CSU stets in einem Atemzug genannt würden. „Der Freistaat wurde von einem Sozialisten ausgerufen und die bayerische Verfassung von einem Sozialdemokraten geschrieben.“

Doch leider bleibt die heute 61-Jährige von Schicksalsschlägen nicht verschont. Nach dem überraschenden Tod ihres Mannes vergräbt sie sich noch tiefer in die Arbeit. Warnsignale des Körpers werden ignoriert. Im Februar vergangenen Jahres erleidet Johanna Werner-Muggendorfer in ihrem Haus in Neustadt einen schweren Schlaganfall. Erst wenige Stunden zuvor hat sie ihre Kandidatur für das Amt des Kelheimer Landrates angemeldet. Nach einer Nacht zwischen Leben und Tod wird sie erst am Morgen von ihrer Mitarbeiterin Ingrid Roithmeier gefunden. Es folgen bange Monate in der Intensivstation und der Reha.

Doch mit Zähigkeit und ihrem eisernen Willen rappelt sich Werner-Muggendorfer wieder auf. Die Fraktionsspitze besucht sie daheim und Genesungswünsche kommen sogar vom politischen Gegner. Nicht zuletzt helfen ihr auch Hunderte Schreiben aus der Bevölkerung, ihre Krankheit zu besiegen.

Gestern kündigt die Neustädterin nun überraschend an, in zwei Jahren erneut für den Landtag zu kandidieren. „Politik ist meine Passion“ – das sei ihr während der monatelangen Rekonvaleszenz klar geworden. Zudem würde der Kreis Kelheim ein Landtagsmandat verlieren, falls sie sich zurückziehen würde. In der Heimat müsse sie bei einer weiteren Kandidatur keinerlei Gegenwind befürchten.

Am meisten reizt Werner-Muggendorfer aber die Aussicht, bei der Vereidigung eines sozialdemokratischen Ministerpräsidenten dabei sein zu können. „Das würde ich daheim ja gar nicht aushalten, wenn wir in die Regierung kommen.“ Mit dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude verfüge die Partei endlich über eine „hervorragende Führungsfigur“.

In Genossen-Kreisen wird Werner-Muggendorfer bereits für das Amt der Sozialministerin gehandelt. Aber sie selbst liebäugelt mit einem anderen Karriere-Traumziel: Vizepräsidentin des Landtages. Doch unabhängig von irgendwelchen Posten will sie weiter für ihr Ideal der Demokratie kämpfen: Einmischen und Einsetzen für andere Menschen. Johanna Werner-Muggendorfer dürfte ihrem Leitspruch auch in Zukunft nicht untreu werden: „Laut für die Leisen – stark für die Schwachen.“