Pfaffenhofen
Röhrt der "Platzhirsch" bald auch in der Hallertau?

18.01.2011 | Stand 03.12.2020, 3:15 Uhr

Gefürchtet als gefräßiger Waldvernichter bei vielen Land- und Forstwirten ist mancherorts das Rotwild. Unser Bild zeigt den Platzhirsch und einige weibliche Tiere aus einem im Wildgehege lebenden Rotwildrudel nahe Freinhausen. - Foto: Raths

Pfaffenhofen (PK) Traditionell wird die "Hirschlederne" gerne als wichtiger Bestandteil der heimischen Tracht getragen. Wenn die Rede auf den unfreiwilligen Lederlieferanten, das Rotwild, kommt, sehen vor allem Waldbesitzer und Landwirte das Thema zwiespältig.

Für die einen ist der Hirsch samt seinem Harem unabdingbarer Bestandteil der Natur, für die anderen ein Schädling, der Wald und Ernte vernichtet. Die hanseatische Deutsche Wildtier Stiftung (DWS) hat es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, das Rotwild – bisher nur in zehn sogenannten Rotwildgebieten vertreten – flächendeckend in Bayern zu etablieren. Werden also bald auch in der Hallertau "Platzhirsche" röhren?
 

"Unfrei im Freistaat" heißt die mediale Kampagne, die die DWS vor wenigen Wochen gestartet hat. Ziel der kostspieligen Aktion ist es, dem Rotwild mehr Raum zum Leben zu gewähren. Bayernweit sollen sich die Tiere frei bewegen können; dazu unbedingt notwendig wäre es nach Meinung der DWS, die nicht gezäunten Rotwildgebiete mit momentan 800 000 Hektar Gesamtfläche unter dem weiß-blauen Himmel vollständig aufzulösen.

Eine Forderung, die sich klar auch an die Adresse der Politik richtet. Landtagsabgeordnete Erika Görlitz (CSU) sieht allerdings keinen erneuten Regelungsbedarf: "Es gibt keine Veranlassung, an den festgelegten Rotwildgebieten zu rütteln". Die erstmals im Jahr 1968 ausgewiesenen und 2000 reformierten Gebiete seien mit Sachverstand gewählt worden und dabei solle es nun auch bleiben, bekräftigt Görlitz.

Den Freiraum für Rotwild bestimmt der Gesetzgeber mit dem Bayerischen Jagdgesetz. Außerhalb der ausgewiesenen Gebiete sind die Jäger demnach verpflichtet, die Tiere gnadenlos zu schießen. Um ihrer Position mehr Nachdruck zu verleihen, hat sich die DWS jüngst mit dem Bayerischen Jagdverband (BJV) zusammengetan. Unisono fordern die Verbände in ihrer Signal gebenden "Münchner Erklärung für Wald und Wild" unter anderem auch noch, das bisherige freie Betretungsrecht der Natur mit nicht näher bezeichneten Verpflichtungen zu verbinden und faire Entschädigungsregelungen für die wirtschaftlichen Folgen von Wildverbiss unter Einbeziehung der Allgemeinheit, sprich auf Kosten aller Steuerzahler, zu treffen.

Bislang gilt die Regelung, dass der Jagdpächter zum Ersatz von Wildschäden von der Jagdgenossenschaft vertraglich verpflichtet wird. Ausnahmen davon sind eher selten. Rotwild, das muss man dazu wissen, ist bei seiner Nahrungswahl nicht besonders wählerisch; ein Tier mit etwa 100 Kilogramm Lebendgewicht verschlingt täglich bis zu 20 Kilo Gras, Beeren, Rinde, Triebe oder Blätter verschiedenster Pflanzen. Getreide oder Kartoffeln werden zum Verdruss der Landwirte ebenfalls gerne genommen, Hopfen gleichermaßen.

Wildschäden, beispielsweise an Mais oder auch an den neuerdings im Zuge des Waldumbaus aufkommenden Laubmischwäldern sind praktisch nicht zu verhindern. Auf wenig Gegenliebe stoßen schon deshalb die Forderungen von DWS und BJV auch bei Klaus Neuner vom Pfaffenhofener Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der deutlich proklamiert, dass "bei uns im Landkreis kein Lebensraum für Rotwild ist".

Überhaupt keinen Diskussionsgrund gibt es nach Ansicht von Jagdreferent Johann Koch vom Bayerischen Bauernverband. Er lehnt aus Sorge um Forst- und Feldschäden "eine Ausweitung der bestehenden Rotwildgebiete entschieden ab". Entspannt sieht Rudi Engelhard, Vorsitzender der Jägervereinigung Pfaffenhofen, die weitreichenden Forderungen von DWS und BJV: "Unser Landkreis ist mit 23 Prozent Waldanteil kein geeignetes Biotop für das Rotwild", bestenfalls käme es als Wechselwild hin und wieder vor. Engelhard untermauert seine Ansicht mit dem Hinweis darauf, dass seit dem Jahr 1848 dauerhaft kein Rotwild mehr in der Hallertau zu finden ist.

Das dem Landkreis Pfaffenhofen nächstgelegene Rotwildgebiet "Isarauen" liegt nur wenige Kilometer entfernt in der Nachbarschaft und erstreckt sich südlich und nördlich von Freising, hauptsächlich im dortigen Auwaldbereich. Sozusagen ein erster Schritt in Richtung "Freiheit für das Rotwild" wurde dort bereits im Jahr 2000 getan: Aufgrund eines Landtagsbeschlusses erweiterte man das Gebiet um 6000 Hektar auf eine Fläche von nunmehr rund 10 000 Hektar. Dort leben etwa 300 Stück Rotwild.

Ein mit Peilsender ausgerüsteter Hirsch namens Franz-Josef gab im Jahr 2007 episodisch einen Vorgeschmack darauf, was die Wanderfreudigkeit von Rotwild betrifft. Gestartet in den Isarauen scheiterte sein Fortkommen kurz vor Wolnzach an der für ihn unmöglichen Überquerung der Autobahn. Daraufhin verstieg er sich entlang des dortigen Wildzaunes noch etliche Kilometer nördlich, um bald darauf wieder mehr oder weniger auf der selben Route in die Auwälder bei Freising zurückzukehren.

Es ist daher nach Ansicht von Experten durchaus vorstellbar, dass in einem ersten Schub diese Tiere ihren Lebensraum auf den Landkreis Pfaffenhofen und natürlich auch darüber hinaus ausdehnen können, sobald ihnen nur die entsprechende Gelegenheit dafür geboten wird. Weibliches Rotwild ist jedoch sehr standorttreu, deshalb sind Abwanderungen der Tiere aus den Isarauen in der Vergangenheit eher selten zu registrieren gewesen. Junge Hirsche werden dagegen oftmals rüde vom Platzhirsch in entlegenere Gebiete abgedrängt – mit der Folge, dass sie bei einem ihnen geeignet erscheinenden Lebensraum auch sesshaft werden können. Von daher darf trefflich darüber spekuliert werden, wie sich die Aufhebung von Rotwildgebieten regional auswirken würde.

Das vehement vorgetragene Plädoyer für die Rotwildausbreitung im Freistaat könnte also zwischen Wildtierstiftung, Landwirten, Jagdverband und Forstbetrieb noch zu der einen oder anderen Auseinandersetzung führen. Ziemlich sicher ist: Ohne die mehrheitliche Zustimmung der Grundbesitzer wird auch massiver werblicher Druck durch die DWS die Umsetzung ihrer anspruchsvollen Pläne spätestens auf politischer Ebene scheitern lassen. Übrigens: Vom Aussterben bedroht ist das Rotwild in Bayern nicht. Seit 2007 werden jährlich um die 10 000 Stück dieses einheimischen Hochwildes erlegt – mit steigender Tendenz.