Warschau
Revolution an den Füßen

Ära der schwarzen Schuhe geht zu Ende – Sportartikelhersteller setzen immer mehr auf bunt

28.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:20 Uhr

Warschau (DK) Schauen Sie bei dieser EM mal genauer hin: Was ist nur aus den guten alten Fußballschuhen geworden? Na ja, schön sind sie immer noch irgendwie. Aber eben nicht mehr schwarz. Und sie besitzen zum Teil Namen, die eher denen von Formel-1-Rennautos gleichen.

Manch einer findet’s gut. Manch einer schüttelt darüber nur verständnislos den Kopf – wie zum Beispiel Uli Hoeneß: „Ich habe oft das Gefühl, dass das Design mittlerweile wichtiger ist als die Zweckmäßigkeit“, so der Präsident des FC Bayern München. Damit aber nicht genug! Hoeneß weiter: „Ein Adi Dassler würde sich im Grab umdrehen, wenn er sehen würde, mit welchen Schuhen heutzutage gespielt wird.“

Aber es hilft ja nichts: Der Gründer der Sportartikelweltmarke mit den drei Streifen ist eben schon im Jahr 1978 verstorben. Zu einer Zeit, in der die Fußballschuhindustrie nicht im Traum daran dachte, bunte Treter zu produzieren? Nun gut, nicht ganz. Der große Konkurrent von Adidas, Puma, startete bereits 1971 die große Revolution: „Pelerina“ hieß das gute Stück der Herzogenauracher – ganz in Weiß. Allerdings war es speziell für den Damenfußball entwickelt worden.

Doch die Marke mit der Wildkatze im Namen gab in Sachen Farbe nicht nach. Warum auch – schließlich hatte sie damals einen Günter Netzer unter ihren Werbeträgern, jenen „Revoluzzer“ mit der blonden Mähne. Natürlich musste für ihn etwas Besonderes her, nämlich im Jahr 1973 ein himmelblauer Schuh mit gelbem Formstripe. Keine Frage, eine schöne Idee. Sie hatte nur einen Haken: Selbst Netzer war sie zu extravagant, selbst der Kreativkopf wollte nicht so klar aus der Masse hervorstechen – und kickte weiterhin in Schwarz.

Nein, die Herren von Puma hatten’s in dieser Zeit nicht leicht mit ihren Werbeträgern. Auch der Versuch, die Kicker von Fortuna Düsseldorf (passend zu ihren Vereinsfarben) mit roten Schuhen einzudecken, scheiterte 1973 kläglich: Die Herren Profis fühlten sich dabei unwohl.

Warum es anschließend wieder ruhiger wurde um das bunte Arbeitsgerät aller Kicker? Eine gute Frage. Ebenso wie die, weshalb das Thema irgendwann doch wieder auf die Tagesordnung zurück kam. Laut PR-Direktor Oliver Brüggen von Adidas sei „das magische Dreieck“ an Letzterem schuld gewesen. Die Herren Fredi Bobic, Krassimir Balakow und Giovane Elber vom VfB Stuttgart also, die ab Mitte der 90er Jahre für ein ganz neues Lebensgefühl auf dem Fußballfeld sorgten. Und dabei eben nichtschwarze Edeltreter trugen.

Die Revolution an den Füßen nahm danach endgültig ihren Lauf – mit dem nächsten Höhepunkt bei der WM 1998 in Frankreich, als Kameruns Rigobert Song die Firma Puma ganz groß herausbrachte: mit einem roten Schuh links, einem gelben rechts. Die Fußballwelt staunte, die Fußballwelt redete darüber – und die Fußballwelt verlor immer mehr das Interesse am traditionellen Schwarz.

„Die Spieler wollen den Lifestyle und ihre Individualität, die sie außerhalb leben, auch auf dem Platz zelebrieren“, erklärt Brüggen. „Das geht los bei gegelten Haaren oder Haarbändern – und endet eben bei den Schuhen.“ Aha. „Oliver Kahn war einer der letzten Werbeträger von uns, der auf Schwarz setzte. Inzwischen spielen schon an die 90 Prozent aller Profis mit bunten Schuhen“, so der PR-Manager weiter. Und räumt ein: „Dass sich das in den vergangenen Jahren so rapide änderte, hat sicherlich auch Marketinggründe.“

Mit anderen Worten: Dass etwa ein Thomas Müller, ein Manuel Neuer, ein Lionel Messi nur mehr auffallend bunte Produkte an ihren Füßen tragen, wird von der Weltmarke mit den drei Streifen dringend so gewünscht. Brüggen dazu ganz ehrlich: „Die Farben, die unsere Werbeträger an den Füßen haben, werden in der Tat von uns diktiert.“

Und warum das Ganze immer wieder? Ganz einfach: Je öfter die Optik gewechselt wird, umso mehr Schuhe gehen anschließend auch über den Ladentisch, schließlich wollen die Fans doch genauso sein wie ihre Idole – und in den gleichen Tretern doch bitteschön (fast) genauso gut kicken können. Koste es, was es wolle.

„Zirka alle drei Monate bekommen unsere Spieler ihren Schuh in neuen Farben“, verrät Puma. „Und die Produktion eines maßgefertigten Schuhs für einen Puma-Spieler dauert etwa ein halbes Jahr.“ Den Spanier Cesc Fabregas etwa hat Puma aktuell unter Vertrag, Marco Reus ebenfalls – und natürlich Mario Gomez. Der bestritt alle seine bisherigen EM-Partien übrigens im „evoSpeed 1 FG“ – ein Name wie die neueste Kreation von Ferrari oder Lotus. Nur dass das bunte Schmuckstück der Herzogenauracher nicht ganz so schnell ist.

„Für mich ist wichtig, dass ein Schuh wirklich gut passt und ich mich darin wohlfühle, schließlich ist er mein tägliches Werkzeug“, so Gomez. Welch’ Erkenntnis! Immerhin erklärt seine Ausrüsterfirma dazu, dass ihre Schuhe „in enger Zusammenarbeit mit den Spielern entwickelt werden“. Und natürlich würden sie deren Erfahrungen dabei einbringen.

Natürlich sind sie auch bei Adidas darum bemüht, auf die Wünsche ihrer Starkicker einzugehen – womit wir schon beim nächsten Trend auf den Fußballplätzen dieser Welt sind: nämlich dem Besticken der Schuhe. Bei Michael Ballack waren’s schon vor einigen Jahren die Namen seiner Kinder, Bastian Schweinsteiger macht’s aktuell nicht mehr ohne „Sarah“ auf seinen Tretern – und Toni Kroos will auf „Lennox“ sowie „Julius“ nicht mehr verzichten. Nur zur Information: Die beiden Letzterwähnten sind nicht etwa die Söhne des Mittelfeldakteurs, sondern seine Hunde. „Wunderschöne Beagle“, wie er selbst ganz stolz hinzufügt.

Traditionalist Hoeneß dürfte bei so etwas nur verständnislos den Kopf schütteln. Als er noch aktiv gewesen war, als er beim EM-Finale 1976 noch spektakulär einen Elfmeter in den Belgrader Nachthimmel gejagt hatte, tat er das noch ganz in Schwarz mit weißen Streifen – ohne Namen von Familie, Verwandtschaft, Haustieren. Wer weiß, vielleicht hätte er in Himmelblau und mit „Susanne“ am Schuh ja getroffen.