Pfaffenhofen
Rettungsschirm statt Hopfen

Bei "Jetzt red i" aus Pfaffenhofen kommen vor allem Politiker und Experten, aber kaum Bürger zu Wort

13.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:04 Uhr

Letzte Absprache vor der Sendung: BR-Moderator Tilmann Schöberl und Annette Peter, Redakteurin von „Jetzt red i“, im Rathaussaal von Pfaffenhofen - Foto: Paul

Pfaffenhofen (DK) Mit seiner Sendung „Jetzt red i“ reist der BR durch Bayern, um den Bürgern ein Forum im Fernsehen zu bieten. Dabei sollen regionale Belange im Mittepunkt stehen. In Pfaffenhofen war das anders: Es ging am Mittwochabend hauptsächlich um den Euro, das Publikum kam kaum zu Wort.

Merkwürdig – am entspanntesten wirkt vor Sendebeginn ausgerechnet der Mann, der in den nächsten 45 Minuten den anstrengendsten Job hat. Er darf sich auf keinen Fall verhaspeln, nichts vergessen und muss den Überblick behalten. Doch Tilmann Schöberl, der Moderator der Sendung „Jetzt red i“ des Bayerischen Rundfunks, stromert lässig durch den festlichen Rathaussaal von Pfaffenhofen, scherzt mit den Zuschauern, genießt durch das offene Fenster den Blick auf den Marktplatz.

Immerhin ist es eine Live-Sendung., das ist nicht die Regel bei „Jetzt red i“. Sonst wird immer am Montag aufgezeichnet und dann erst am Mittwoch gesendet. Da bleibt noch Zeit, Versprecher rauszuschneiden oder überlange Redner verbal kunstvoll zu raffen. Doch heute ist alles ein wenig anders. Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil zum Euro-Rettungsschirm ESM verkündet, da will und da muss man einfach live sein, sagen sich die Fernsehmacher. Und das Problem geht ja nicht nur die Pfaffenhofener etwas an. Schöberl lächelt. Noch 15 Minuten.

Aufgeregt sind andere. Das Studiopublikum, gut 120 Bürger aus Pfaffenhofen und Umgebung, sitzt dicht gedrängt auf schmalen Bänken, auf den Tischen türmen sich Brezen und Semmeln, dazwischen Bier, Wein und Apfelschorle. Die Stimmung ist aufgekratzt, etwas Gekicher, die Gesichter einiger Herren im Saal sind leicht gerötet und das mag nicht nur an der Hitze durch die zahlreichen Scheinwerfer liegen. Wie bei einem Klassenausflug für Erwachsene. Gut, das Fernsehen kommt ja auch nicht alle Tage in eine Kleinstadt. Noch zehn Minuten.

Leicht gestresst ist die Redakteurin der Sendung, Annette Peter. Sie saust durch den Raum, hier noch ein kurzes Gespräch mit den Kameraleuten, ein schnelles Check-up mit Moderator und Studiogästen, eine knappe Ansage an die Bürger, die nachher zu Wort kommen sollen. Die Choreografie muss stimmen. „Hinter Politikern platziert man am besten einige hübsche Mädchen.“ Bereits um 11 Uhr war das Team aus München in der Kreisstadt angekommen, die Vorbereitung dauerte den ganzen Tag. Und beinahe hätte noch der Dauerstau auf der A 9 den ganzen Zeitplan durcheinandergewirbelt. Noch fünf Minuten.

Die Studiogäste sind TV-Routiniers, allerdings nicht unbedingt die erste Garde der Politik. Markus Söder (CSU), Bayerns Finanzminister, hat abgesagt. Gekommen sind: Jorgo Chatzimakakis, der FDP-Abgeordnete aus dem EU-Parlament, von dem die meisten nur wissen, dass er sich öffentlich für seinen Parteichef schämt, weil der die Griechen aus dem Euro drängen will, und dass er bei seiner Doktorarbeit geschummelt hat, wofür er sich nicht ganz so schämt; Thomas Kreutzer (CSU), Seehofers inzwischen dritter Staatskanzlei-Leiter, und Hertha Däubler-Gmelin (SPD), die mal Bundesjustizministerin unter Gerhard Schröder war. Zehn Jahre ist das her, jetzt hat sie in Karlsruhe geklagt. Als Experte fungiert Karl-Dieter Möller, jahrzehntelang ARD-Reporter in Karlsruhe und bekannter als der Präsident des Bundesverfassungsgerichts selbst.

Als die Sendung dann läuft, klingen die Argumente der Politiker etwas eingeübt. Verloren hat durch das Karlsruher Urteil natürlich niemand. Und jetzt ist das finanzielle Haftungsrisiko für Deutschland aber wirklich, definitiv und endgültig begrenzt, kann nix mehr passieren, Hand drauf und Ehrenwort, Europa unser aller Zukunft und künftig mehr Bürgerbeteiligung – toll, super, sind wir alle dafür.

Eigentlich müsste der Sendungstitel „Jetzt red i“ ergänzt werden – nämlich durch „wenn es dem Fernsehteam passt“, denn die Redaktion schränkt die suggerierte Spontanität der Sendung durchaus ein. Sie bearbeitet die Wortmelder vorab intensiv – im Fachjargon „casten“ genannt –, und unterbricht, wenn sich allzu viel Emotionalität Bahn zu brechen droht.

„Ganze vier Wortmeldungen aus dem Publikum, das ist zu wenig und stattdessen diese ganzen Filmeinspielungen“, klagen die Besucher Luzie Prells und Patrik Tritschler nach der Sendung. Nur in den letzten Minuten ist es um die Hallertau und den Kummer der Hopfenbauern mit der Bürokratie gegangen. Das wirkt wie bemühter Anhang – Motto: Schlimm, schlimm, aber schön ist es trotzdem hier.