Mühlbach
Rettungsaktion für Rehkitze

Jäger und Landwirte ziehen an einem Strang - Vier Tiere mit Hilfe einer Drohne aus Wiese geborgen

27.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:17 Uhr
Vier Kitze sind aus der Wiese bei Mühlbach gerettet worden. Nachdem jeder Körperkontakt vermieden wurde, haben sie ihr Mütter wieder abgeholt. −Foto: Blechinger

Mühlbach - Das leise Summen in der Luft verrät die Drohne, die schon am frühen Morgen über der Wiese schwebt.

 

Eine eingebaute Wärmebildkamera schickt ihre Bilder auf den Monitor des Jägers, der am Waldrand steht und das fliegende Kameraauge steuert. Schon nach wenigen Minuten entdeckt er einen hellen Flecken inmitten der kniehohen Grashalme und bei näherer Fokussierung erkennt er ein Rehkitz, das bewegungslos am Boden kauert. Mit Hilfe dieser Technik ist es ein Leichtes, die Helfer zu dem immer noch verharrenden Kitz zu dirigieren. Ohne Hektik reißt Heidi Zimmer zwei Grasbüschel ab, nimmt mit diesem Puffer zwischen Menschenhand und Tierkörper das Kitz auf und trägt es an den Waldrand. Sie spürt förmlich, wie das Herz des kleinen Wildtieres vor Aufregung rast, aber es bleibt dennoch wie erstarrt in ihren Händen. Kaum ein anderes Tier rührt die Emotionen so mitfühlend an wie ein Rehkitz mit seinen großen Augen, der stupsigen Nase und dem gepunkteten Fell. Jetzt, in der Zeit der Wiesenmahd, herrscht für viele Kitze allerdings Lebensgefahr. Ihr Urinstinkt befielt ihnen, bei Gefahr regungslos liegenzubleiben. Denn sie haben in diesem Alter noch kaum eigenen Körpergeruch und so können sie ihre Fressfeinde Fuchs, Luchs, Wolf oder Wildschweine nicht entdecken.

Was sich über die lange Zeit der Evolution bestens bewährt hat, hilft gegen moderne Mähmaschinen nicht mehr. Selbst wenn die Traktormotoren unmittelbar neben ihnen dröhnen, bleiben sie liegen und werden vom nachfolgenden Kreiselmähwerk zerfetzt.

 

"Die Bauern wollen das auch nicht, dass Kitze sterben müssen", weiß Jägerin Heidi Zimmer. Seit gut 20 Jahren haben sie und ihr Mann das Revier bei Mühlbach gepachtet, das sich bis auf die Jurahöhen um Schweinkofen zieht. Die Bauern haben auch diesmal rechtzeitig angerufen, bevor sie ihre Wiesen mähen. "Wir haben ein gutes Verhältnis zwischen Jägern und Bauern und wenn man sich abspricht, dann funktioniert das", ist sie überzeugt. Und so rückten Heidi Zimmer und ihr Mann Johann zusammen mit sechs weiteren Jägern am Vatertag aus, um ein Massacker in den Wiesen zu verhindern. Natürlich geht es Jägern und Landwirten vorrangig um die Rettung der Kitze. Ein Nebeneffekt ist zudem, dass die Qualität des Heus und der Silage gewährt bleibt. "Denn wenn Kitze nicht entdeckt und getötet werden, können Leichenteile das Futter vergiften und Rinder daran sterben", weiß die Jägerin.

Insgesamt vier Kitze finden sie an diesem Vormittag in den Wiesen und tragen sie aus der Gefahrenzone. "Man muss dabei jeden Körperkontakt zwischen Kitz und Mensch vermeiden, denn wenn Menschenwitterung den Kitzen anhaftet, nehmen sie die Geißen nicht mehr an sich und sie verhungern", weiß die Frau, die schon seit 23 Jahren Jägerin ist. Heidi Zimmer bittet auch alle Spaziergänger, die zufällig ein vermeintlich verlassenes Rehkitz oder ein anderes Jungtier finden, es nicht zu berühren. "Das Muttertier hat es dort abgelegt und es kommt sicher zurück, um es zu säugen", betont sie. Auch um die Kitze, die aus den Wiesen entfernt und an anderer Stelle nicht weit davon abgelegt wurden, macht sie sich keine Sorgen. "Die Rehgeiss fängt bei ihrer Suche zu fiepen an und das Kitz antwortet dann, so finden sie wieder zueinander", ist ihre Erfahrung. Auch die geretteten Kitze am Vatertag wurden wieder von ihren Müttern angenommen. "Mein Mann war am späten Nachmittag noch mal dort und da waren die Kitze schon von den Geissen abgeholt worden", erzählt die leidenschaftliche Jägerin.

erv