Berlin
Rentenniveau könnte in den nächsten 30 Jahren drastisch sinken

Langzeit-Prognose befeuert Debatte um Reformpläne von Sozialministerin Nahles

28.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:15 Uhr

Berlin (DK) Großer Wurf oder kleine Korrekturen beim Thema Rente? Hinter den Kulissen bereitet die Bundesregierung ein umfassendes Reformkonzept für die Alterssicherung vor. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will es Ende Oktober vorstellen. Sowohl die betriebliche Vorsorge als auch die Riester-Rente werden dabei im Blickpunkt stehen - wie jetzt deutlich wird, aber nicht nur. Offenbar will Nahles einen Schritt weitergehen. Zuletzt hatte sie "Haltelinien" beim Rentenniveau angekündigt, womit sie für Überraschung sorgt. Hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) doch bei ihrer Sommerpressekonferenz ausdrücklich angekündigt, die Koalition werde sich im Herbst nicht mit dem Rentenniveau beschäftigen.

Aktuelle Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums sorgen nun für neue Spekulationen über das geplante Rentenkonzept. Erstmals liegen Langzeit-Prognosen für das Rentenniveau vor - also für das Verhältnis des Durchschnittslohns zur Rente nach 45 Beitragsjahren. Wie aus Regierungskreisen zu erfahren ist, werde das Sicherungsniveau ohne eine Reform bis 2030 auf unter 43 Prozent fallen und im Jahr 2045 schließlich auf 41,6 Prozent. Der Rentenbeitrag würde bis 2030 von heute 18,7 auf 22 Prozent im Jahr 2031 ansteigen.

Würde man das Rentenniveau auf dem heutigen Stand von etwa 47,5 Prozent einfrieren, hätte das hingegen weitreichende Folgen. Der Rentenbeitrag würde bereits im Jahr 2028 die 22-Prozent-Marke überschreiten und im Jahr 2045 auf 26,4 Prozent ansteigen. Das Einfrieren des Rentenniveaus auf heutigem Niveau würde zusätzliche Kosten von jährlich 40 Milliarden Euro bedeuten. Davon müssten 32 Milliarden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgebracht werden, acht Milliarden kämen als Zuschuss vom Bund.

Keine Reform oder doch eine Stabilisierung des Rentenniveaus, wie sie im Frühjahr bereits sowohl SPD-Chef Sigmar Gabriel als auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer gefordert hatten - Nahles legt sich bisher öffentlich nicht fest. Die Veröffentlichung der neuen Zahlen aus ihrem Ministerium wirkt denn auch wie ein Ballon, der die Stimmung testen soll. Kaum waren die neuen Prognosen veröffentlicht, reagierten die Arbeitgeber auch schon alarmiert.

"Die Generationengerechtigkeit darf in der Rentenversicherung nicht infrage gestellt werden. Es sollte weiter einen fairen Ausgleich zwischen Jung und Alt geben", heißt es bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Wir brauchen wie bisher nicht nur eine Haltelinie beim Rentenniveau, sondern auch beim Beitragssatz." Dies sei nicht gewährleistet, wenn der Beitragssatz auf 26,4 Prozent steige.

Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl steht Schwarz-Rot vor einem heißen Renten-Herbst. Wofür reichen die Gemeinsamkeiten noch? An welchen Stellen kann sich die Koalition auf eine gemeinsame Linie verständigen? Während die Arbeitgeber warnen, pochen die Gewerkschaften auf ein deutlich höheres Rentenniveau - auch angesichts der Probleme mit der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung.

Ausdrücklich will Arbeitsministerin Nahles mit ihrem Rentenkonzept auch stärkere Anreize für die Riester-Vorsorge und Betriebsrenten setzen. Sie weiß, dass ein höheres Rentenniveau nicht automatisch vor Altersarmut schützt. Zwischen der SPD-Politikerin und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) herrscht Einigkeit darüber, dass die Unternehmen künftig keine Betriebsrenten mehr in einer bestimmten Höhe garantieren müssen. Zudem soll es Zuschüsse für die Anwartschaften von Geringverdienern geben.

Auch bei der Riester-Rente erwägt die Regierung zusätzliche Anreize. Kommt es am Ende nicht zum schwarz-roten Schulterschluss in Sachen Alterssicherung, wäre die Konsequenz klar: Die Rente würde zum großen Streitthema im Bundestagswahlkampf.