Berlin
Reisende im Visier

Steigende Zahl von Diebstählen beunruhigt Bahn Die Täter kommen oft davon

26.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:15 Uhr

Berlin (DK) Tatort Bahn: Einer steht Schmiere, ein Zweiter rempelt, der Dritte greift zu. Für immer mehr Reisende wird das Horrorszenario beim Ein- und Umsteigen oder im Zug selbst zur Realität. Die Zahl der Diebstähle in Zügen und an Bahnhöfen ist dramatisch gestiegen - von knapp 36 000 im Jahr 2014 auf fast 45 000 im vergangenen Jahr, plus 25 Prozent.

Tendenz steigend. Dabei bilden die neuen Zahlen der Bundespolizei nur einen Teil ab, denn die Dunkelziffer ist hoch. Angstraum Bahnhof, Angstraum Zug: Der Bundeskonzern Bahn ist selbst tief beunruhigt, verlangt ein härteres Durchgreifen der Behörden.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wirft der Regierung den fahrlässigen Abzug von Personal zur Sicherung der Bahnhöfe vor - weil sie wegen der Flüchtlingskrise noch immer an den Grenzen eingesetzt würden. Nur rund 5000 der 40 000 Bundespolizisten stünden noch für die Bahn bereit, sagte GDP-Vizepräsident Jörg Radek gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion.

Die Diebstähle selbst dauern nur Sekunden: Auf Rolltreppen, beim Ein- und Aussteigen wird ein Reisender angesprochen oder angerempelt. Ein zweiter Täter nutzt die Unachtsamkeit, klaut Handy oder Portemonnaie aus der Tasche. Besonders perfide ist der Trick beim Einsteigen: Die angebotene Hilfe, Gepäck in den Zug zu tragen, wird zur Falle, die Tasche ist plötzlich weg.

Oft schlagen professionelle Banden zu, mit Tätern ohne festen Wohnsitz in Deutschland. "Häufig kommen diese Banden aus Rumänien, Bulgarien und anderen Balkanländern", sagt GDP-Vize Radek. "Die €šreisenden Täter' sind ein riesiges Problem", bestätigt Henner Kruse, Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund. Werden sie auf frischer Tat ertappt, können zunächst nur die Personalien festgestellt werden, für Haftbefehle sind die Delikte nicht schwerwiegend genug. Eine konsequente Strafverfolgung wird erschwert, wenn die Banden die Bundesländer wechseln und dort - werden sie erneut ertappt - unabhängige Verfahren beginnen. "Irgendwann werden die Verfahren eingestellt, weil niemand von den anderen Verfahren weiß", so Kruse gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Werde dann doch bundesweit gefahndet, "sind die Täter oft schon über alle Berge".

Die Bahn ist frustriert: "Es kann nicht sein, dass polizeibekannte Täter wiederholt ungeschoren davonkommen und mehrmals täglich am selben Bahnhof von der Polizei festgenommen werden müssen", sagte DB-Sicherheitschef Hans-Hilmar Rischke gestern unserer Berliner Redaktion. "Neben präventiven Aktivitäten erwarten wir von der Justiz, dass Straftäter aus dem Verkehr gezogen werden."

Seit vergangenem Jahr setzt die Bahn auch verstärkt eigenes Personal in zivil ein - im mittleren zweistelligen Bereich. Die von der Bundespolizei geschulten Teams hätten schon "Hunderte" Diebe gestellt und an die Strafverfolgungsbehörden übergeben, sagte ein Konzernsprecher gestern. Das Programm soll ausgeweitet werden - ebenso die Videoüberwachung.

Neben der Gewerkschaft der Polizei beklagt auch Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, dass zu wenige Bundespolizisten in Zügen und Bahnhöfen die Kriminalität bekämpfen könnten. Er wirft der Bundesregierung vor, von den geplanten 1270 neuen Polizeikräften der Bundespolizei nur 100 an Bahnhöfen einsetzen zu wollen. Das sei ihm "schleierhaft". Die SPD will die neuen Stellen bei der Bundespolizei auf 6000 verdoppeln, betonte Burkhard Lischka, sicherheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.