Bayreuth
Reichlich viel Autoritäres im Blauland

Yuval Sharons "Lohengrin"-Inszenierung geht ins zweite Bayreuther Festspieljahr

29.07.2019 | Stand 23.09.2023, 8:00 Uhr
Immer noch ein umwerfender Lohengrin: Klaus Florian Vogt im Bayreuther Festspielhaus. −Foto: Nawrath/Festspiele

Bayreuth (DK) Dass es auf der Bühne kräftig blaut, Wolken in allen Blau-Schattierungen in mystischem Dunkel vorbeiziehen, verwundert nicht: Fand doch schon Friedrich Nietzsche "viel blaue Musik" in Wagners "Lohengrin".

Einzig mit dem zweidimensionalen Mittel der Malerei im barocken Kulissentheater-Stil ließ das Künstler-Ehepaar Neo Rauch und Rosa Loy für die Bayreuther Festspielpremiere 2018 eine eigene "Lohengrin"-Welt erstehen. Die sich jetzt im zweiten Festspieljahr bewähren muss. Rauch mag kein Regietheater, das hat er in Interviews immer wieder gesagt. Man muss auch nicht fürchten, in dieser Produktion eines zu sehen zu bekommen. Das ist schade - und nicht mehr zeitgemäß.

Fast vergisst man, dass neben den Künstlern mit Yuval Sharon noch ein Regisseur zu Gange ist, sogar einer der jüngeren Generation. So lähmend statisch, so altbacken kommt die Personenführung daher. Zwischen den Protagonisten entwickelt sich wenig, und der Chor wird gerne im Block geführt oder darf als Jubelvolk Standard-Gesten und einige stereotype Freudentänzchen aufführen. Das geht im Bewegungsrepertoire nicht über das hinaus, was es schon vor Jahrzehnten bei Wolfgang Wagner gab. Wäre man optisch davon nicht so ermüdet, könnte man bemerken, dass sich einige spannende Grundideen in dieser Inszenierung verbergen: Da wäre zum Beispiel eine äußerst autoritäre Gesellschaft. Die herrschende Schicht - mit Motten- und Schmetterlingsflügel angetan - hält das uneinschätzbare Volk in Schach, das demjenigen nachläuft, der Licht ins Dunkel bringt. Wie Lohengrin, der ein defektes Umspannwerk und damit die Gesellschaft wieder elektrifiziert. Doch vor allem Frauen haben es im Blauland Brabant nicht gut erwischt: Sie werden zur Bewunderung ihrer Männer auf die Knie gezwungen, gerne auch mal auf den Scheiterhaufen gestellt, dürfen keine Rückfragen stellen und werden (nicht nur) in der Hochzeitsnacht gefesselt. Es verwundert nicht, dass die plötzlich emanzipierte Elsa da nicht mehr mitmacht.

Vom scheidenden Lohengrin mit einem eigenen Energie-Rucksack und ihrem noch unfertig-grünen Bruder Gottfried ausgestattet (der mit leuchtendem Weihnachtsbaum in der Hand eine Art biologisch-natürliche Energiequelle sein soll?), hat sie am Schluss als einzige Chancen zu überleben. So weit, so interessant gedacht. Nur leider eben nicht fesselnd in Bühnen-Realität umgesetzt.

Was bleibt, ist sehr viel Platz für festspielwürdige Musik. Christian Thielemann und das Festspielorchester packen schon im Vorspiel - sehr poetisch, sehr langsam entwickelt bis hin zur großen Farberuption. Chöre, Sängerinnen und Sänger: Alle sind hier in sicherer Hand, stets stimmt die Balance, die Dynamik, der Ausdruck. Thielemann wurde nach der Premiere zurecht vom Publikum gefeiert. Wahre Ovationsstürme aber gab es für Klaus Florian Vogt, seit Jahren die Ideal-Verkörperung des Lohengrin, nicht nur in Bayreuth. Immer noch strahlt Vogt mit sehr hellem Tenortimbre über den Chor hinweg, immer noch ist die Kraft und Schönheit der Stimme überwältigend. Wenngleich ihr an diesem Tag ein wenig der unnachahmliche Schmelz fehlte. Aber das ist Jammern auf höchstem Niveau. Nach leicht aufgeregtem Einstieg ist Camilla Nylund eine ebenbürtige Elsa: Strahlend im Klang, äußerst kultiviert im Piano. Neu in diesem Jahr ist Elena Pankratova, die russische Mezzosopranistin, die nebenbei noch Kundry in Bayreuth singt - eine große, volltönende, nicht immer gut verständliche Stimme. In Sachen Bühnenpräsenz jedoch vermisst man schmerzlich die Ausstrahlung von Waltraud Meier aus dem Vorjahr.

Telramund Tomas Konieczny singt herrlich dunkel und böse, neigt aber etwa zu sehr zum Deklamieren. Eine Wohltat ist da der balsamische Bass von Georg Zeppenfeld als König Heinrich, der wundervolle Bögen spannt, ergänzt durch Egil Silins als Heerrufer.

Und einen Chor (Leitung: Eberhard Friedrich), der nicht nur eine der großen Stützen der Festspiele ist, sondern auch ein klanggewaltiges Ereignis an sich.

Übrigens: Am 14. und 18. August wird gemeinsam mit Piotr Beczala als Lohengrin erstmals im Bayreuther Festspielhaus Anna Netrebko in die Partie der Elsa einsteigen. Sicher ohne große Mühe, sich in die Inszenierung einzufinden.

Barbara Angerer-Winterstetter